Distanzierung von Heiner Flassbecks Ansichten zur Koalitionsbildung nach der Bundestagswahl 2025

An dieser Stelle distanziere ich mich von den Ansichten, die mein langjähriger und geschätzter Lehrer Heiner Flassbeck öffentlich in zwei Beiträgen – einmal im Overton-Magazin und einmal im Freitag – hinsichtlich der Koalitionsbildung einer neuen Bundesregierung geäußert hat.

Heiner Flassbeck empfiehlt, die Union aus CDU und CSU solle mit der AfD koalieren. Er begründet das folgendermaßen: „CDU/CSU und AfD können nur entzaubert werden, wenn sie Verantwortung tragen und versuchen, ihr wirtschaftspolitisches Programm durchzusetzen. Dann werden sie entweder alle ihre Vorurteile in Sachen Staatsverschuldung, Steuern und die Bevorteilung der Reichen über Bord werfen müssen oder kläglich scheitern. Nur wenn die Masse der Bürger, vor allem in Ostdeutschland sieht, dass auch die AfD nur mit sehr wenig Wasser kocht und nichts für die kleinen Leute tut, ist eine wirkliche Wende möglich. Wer in einer schwarz-roten Koalition herumdoktert, ohne wirklich erfolgreich zu sein, betreibt das Geschäft der AfD.

Diese Auffassung teile ich in keiner Weise.

Heiner Flassbeck behauptet, der „Wille des Volkes“ sei eindeutig, es wolle „eine rechte Regierung, die stramm konservative Politik macht. Wer die Demokratie ernst nimmt, muss klipp und klar sagen: Lasst sie machen!“. Das halte ich für eine nicht zu belegende Interpretation des Wählerwillens. Denn wer aus Enttäuschung über die Ampel-Regierung oder aus positiver Überzeugung der Union seine Stimme gegeben hat, konnte dies bis zu einem gewissen Grad im Vertrauen auf das Versprechen des Kanzlerkandidaten Friedrich Merz tun, keinesfalls eine Koalition mit der AfD einzugehen. Auch wenn Friedrich Merz und die Union durch ihr Agieren am 29. und 31. Januar 2025 im Bundestag viel an Glaubwürdigkeit genau hinsichtlich dieses Versprechens eingebüßt haben, dürften sich zumindest Teile der Wählerinnen und Wähler der Union getäuscht sehen, wenn die Union entgegen ihrer Beteuerungen nach dem 31. Januar, eine Zusammenarbeit mit der AfD sei auf jeden Fall ausgeschlossen, jetzt doch eine Regierungskoalition mit der AfD bildete.

Die Demokratie ernst zu nehmen bedeutet in meinen Augen insbesondere, sich an seine vor der Wahl gegebenen Versprechen zu halten. Zweifellos ist das nicht immer zu hundert Prozent möglich, weil die Demokratie Kompromisse erfordert. Doch Kompromisse in Form einer Koalition mit einer Partei wie der AfD einzugehen, die die Beseitigung unserer Demokratie betreibt, sind für mich mit nichts zu rechtfertigen, auch nicht mit den Aussichten auf die nächste Bundestagswahl.

Ganz besonders distanziere ich mich von der im Overton-Beitrag geäußerten Bezeichnung derjenigen, die gegen eine Regierungsbeteiligung der AfD auf Bundesebene sind, als „Gutmenschen“. Eine solche Einordnung empfinde ich als Diffamierung. Die Hoffnung darauf, eine Koalition aus Union und SPD könne wirtschaftspolitisch etwas Besseres erreichen und vor allem auf dem Gebiet der Gewaltenteilung, der Presse- und Meinungsfreiheit sowie der Bildung Schlimmeres verhindern, als was eine Regierungsbeteiligung der AfD mit sich brächte, ist nicht naiv. Zumindest ist sie nicht naiver als Heiner Flassbecks Vorstellung vom Ergebnis einer solchen Beteiligung: „[I]n vier Jahren [wüsste] jeder, der es wissen will, dass es rechts der Mitte kein Konzept für einen Aufschwung der Wirtschaft gibt.

Die wirtschaftliche Entwicklung spielt für die Entscheidungen der Wählerinnen und Wähler auch in meinen Augen eine zentrale Rolle und wird das auch bei der nächsten Bundestagswahl tun. Wem ein Scheitern auf diesem Gebiet aber in die Schuhe geschoben werden würde, wäre im Fall einer Regierungsbeteiligung der AfD völlig offen. Was, wenn vor allem die Union damit in Verbindung gebracht würde und das mit Stimmverlusten zu quittieren hätte, während die AfD als der kleinere Koalitionspartner mit der Behauptung, sie habe ihr Programm nicht vollständig durchsetzen können und sei ohnehin für jahrelange Fehlentscheidungen von Vorgängerregierungen nicht haftbar zu machen, profitierte?

Die Entwicklung in Polen, wo die als national-konservativ bezeichnete Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) von 2015 bis 2023 zwei Wahlperioden hintereinander regierte, hat gezeigt, dass es einer demokratisch gewählten Regierung innerhalb von acht Jahren durchaus möglich ist, demokratische Grundprinzipien wie die Gewaltenteilung so stark zu schwächen, dass auch eine anders ausgerichtete nachfolgende Regierung Mühe hat, diese Grundprinzipien wiederherzustellen. Dieses Risiko heute ohne Not in Deutschland einzugehen, halte ich für falsch.

Über die Gründe, die Heiner Flassbeck bewogen haben, einer Koalition von Union und AfD öffentlich ernsthaft und mit Nachdruck das Wort zu reden, möchte ich nicht spekulieren. Ihm ist es wie jedem anderen Bürger unseres Landes gestattet, seine persönliche Meinung zu welchem Themengebiet auch immer zu äußern. Da mein Name jedoch durch viele Jahre der wissenschaftlichen Zusammenarbeit mit seinem in Verbindung gebracht wird, ist es mir ein Anliegen, meinen konträren Standpunkt öffentlich deutlich zu machen.

Professor Bernd Lucke und die Europhobie (Teil 2)

Der erste Teil dieses Beitrags endete mit der Kritik an dem Abschnitt von Bernd Luckes Vortrag, in dem die angebliche Wechselkursflexibilität einiger osteuropäischer Staaten als Ursache für deren starkes Exportwachstum ausgemacht wird. Natürlich gibt es osteuropäische Staaten, deren Wechselkurse gegenüber dem Euro stark schwanken wie etwa Polen, die Tschechische Republik oder Ungarn. Und diese Staaten haben durch starke Abwertungen ihrer Währungen auch immer wieder Exportschübe erhalten – so wie sie zuvor durch spekulationsbedingte Aufwertungen massiv in Handelsbilanzdefizite getrieben worden sind.

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Professor Bernd Lucke und die Europhobie (Teil 1)

Ein Leser hat uns gebeten, uns einen langen Vortrag auf youtube anzuhören und anzusehen, den der Wirtschaftsprofessor Bernd Lucke, Sprecher der Alternative für Deutschland, in Freiburg gehalten hat. Angekündigt wird eine wissenschaftliche Einschätzung („ein argumentativer Sachvortrag“), keine Wahlkampfrede.

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Mehr Einigkeit unter den Ökonomen für mehr Gehör in der Öffentlichkeit?

Wolfgang Schlage, einer unserer Leser, hat auf das Interview von Heiner Flassbeck mit dem Handelsblatt vom 29.5.2013, in dem es auch um die AfD ging, folgenden Kommentar verfasst: „Herr Flassbeck hat in seiner Ursachenanalyse in fast allem völlig recht, auch darin, dass Herr Lucke von der AfD die Anpassungsschwierigkeiten für Deutschland (die es sicher gibt, auch wenn deren Ausmaß ganz ungewiss ist) und Deutschlands Mitverantwortung für die Krise eher herunterspielt. … [D]ie von der AfD vorgeschlagene Aufbrechung der Euro-Zone [löst] die von Flassbeck richtig gesehenen Probleme… Das müsste Heiner Flassbeck eigentlich auch gefallen.“

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AfD und neoklassischer Mainstream im Wettstreit: Land unter für die Logik

Die FAZ hat ein Streitgespräch zwischen Bernd Lucke, dem Sprecher der Partei „Alternative für Deutschland“, und Dennis Snower, dem Präsidenten des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel, über den weiteren Weg der Europäischen Währungsunion (EWU) abgedruckt. Aus Sicht der FAZ scheint das ein lohnender Diskurs zu sein. Denn beide Ökonomen sind sich zwar in der Krisenanalyse einig – mangelnde Wettbewerbsfähigkeit Südeuropas dank im Verhältnis zur Produktivität zu hoher Löhne –, aber sie vertreten gegensätzliche Standpunkte, wie die Krise zu meistern sei. Der eine möchte, dass die Südeuropäer die EWU verlassen, der andere will möglichst alle EWU-Mitglieder bei der Stange halten und dazu „atmende Fiskalregeln“ einführen.

Aus unserer Sicht ist berichtenswert, worüber sich beide Diskutanten
nicht unterhalten haben und was offenbar auch die Moderatoren der FAZ nicht interessiert: Das ist zum einen die grundsätzliche Frage, welches Verhältnis Löhne und Produktivität denn einnehmen sollten in einer Währungsunion, zum anderen die Frage, welche Folgen die vorgeschlagenen Lösungen
für Deutschland hätten.

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