Am 29. Februar 2024 ist eine modifizierte Fassung dieses Beitrags in der Wochenzeitung „der Freitag“ erschienen.
Monatelang hat sich die Regierung blind und taub für die sich anbahnende und inzwischen eingetretene Rezession gestellt. Im Oktober ging sie in ihrer Herbstprojektion von einem Wirtschaftswachstum 2024 von 1,3 % aus. Die Begründung für diesen Optimismus damals: „Zurückgehende Inflation, Lohnzuwächse und eine stabilere Nachfrage werden zu Wachstum führen.“ Zudem habe die erwartete Entwicklung „auch mit den Maßnahmen der Bundesregierung zu tun“, so der Bundeswirtschaftsminister. Er führte dazu aus dem Klima- und Transformationsfonds (KTF) finanzierte Investitionen, das Wachstumschancengesetz und einen Maßnahmenkatalog für die Bauwirtschaft an.
Im November 2023 kam dann das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Schuldenbremse. Die in den KTF gesetzten Hoffnungen in Sachen Konjunkturbelebung zerstoben, und zwar nicht allein wegen der Reduktion der für 2024 zur Verfügung stehenden Mittel, sondern vor allem wegen der neu entstandenen Planungsunsicherheit. Auch die Maßnahmen für die Bauwirtschaft, die über reine Vorschläge des Bundes an die Länder hinausgingen, waren Makulatur.
Das im Vermittlungsausschuss des Bundesrats auf 3,2 Milliarden Euro (das entspricht 0,08 % des BIP) geschrumpfte Wachstumschancengesetz wird von den unionsgeführten Bundesländern blockiert. Selbst wenn es zustande käme, hätte es kaum Wirkung. Denn es kann die Quadratur des Kreises nicht schaffen, die Wirtschaft durch den Staat anzuregen, ohne dass der dafür Mittel in der notwendigen Größenordnung aufnimmt.
Der Kern der Misere
Gesamtwirtschaftliche Impulse kann der Staat in einer Stagnations- oder gar Rezessionsphase weder erreichen, indem er zur Verfügung stehende Einnahmen irgendwie effizienter einsetzt, noch dadurch, Einnahmen und Ausgaben parallel zu senken. Denn alle Mittelumschichtungen, die potenzielle Produktivitätsgewinne versprechen, können nur dann zu tatsächlichen Produktivitätsgewinnen führen, wenn zusätzliche Nachfrage in den Bereichen ankommt, die von den Umschichtungen profitieren sollen. Und zwar muss es so viel zusätzliche Nachfrage sein, dass die wegfallende Nachfrage in den geschröpften Bereichen mindestens ausgeglichen wird. Auch eine Streichung produktivitätshemmender Vorschriften (Stichwort Bürokratieabbau) schlägt sich erst dann positiv nieder, wenn die Kapazitätsauslastung dank sich füllender Auftragsbücher zunimmt.
Genau das aber findet in einer rezessiven Situation nicht ohne finanziellen Anstoß von außen statt. Wem der Staat Subventionen oder Transfers wegnimmt, der reagiert darauf mit einer Einschränkung seiner Ausgaben und verschlimmert so den Nachfragemangel. Ein im Gegenzug bei seinen Produktionskosten entlastetes Unternehmen sieht sich zunächst einer insgesamt dank Gegenfinanzierung verschlechterten Nachfrage gegenüber. Selbst wenn in seinem Bereich kein Nachfragerückgang auftritt, sondern andere Branchen die Gegenfinanzierung tragen müssen, kommt es, wenn überhaupt, nur dann zu mehr Nachfrage, falls es seine Preise senkt. Das Unternehmen muss also die staatlicherseits ermöglichte Kostenreduktion an potenzielle Kunden weitergeben, um Nachfrage auf sich zu lenken. Das regt seine Investitionsneigung keinesfalls sofort, sondern frühestens dann an, wenn seine Kapazitätsauslastung spürbar gestiegen ist. Bei allen anderen, die den Nachfragemangel verkraften müssen, nimmt hingegen die Investitionsneigung weiter ab. Bei Betrachtung der dynamischen und interdependenten Prozesse läuft das nicht einmal auf ein Null-, sondern auf ein Negativsummenspiel in der Gesamtwirtschaft hinaus.
Rettungsanker Außenhandel?
Wie Politiker eines Land mit einem Leistungsbilanzüberschuss von 280 Mrd. Euro bzw. 6,8 % seines BIP, darunter einem Außenhandelsüberschuss von 4,2 %, ernsthaft auf die Steigerung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit setzen können, wie das im Jahreswirtschaftsbericht breit ausgeführt wird, bleibt für jeden klar denkenden, an Frieden interessierten Menschen ein Rätsel. Will Deutschlands Regierung die nationalistischen Kräfte bei den Handelspartnern, allen voran den USA, denen wir bei steigender Wettbewerbsfähigkeit ja noch mehr Nachfrage entziehen würden, weiter stärken? Es bleibt dabei: Ohne Binnenwachstum geht es nicht. Und dazu brauchen wir eine Umkehr in der Zinspolitik der Europäischen Zentralbank und eine Verschuldungsmöglichkeit des Staates, die es erlaubt, die Privatwirtschaft zu stabilisieren, bevor sie völlig abstürzt.
Vielen Dank,
soweit nachvollziehbar und einleuchtend.
Jedoch, was halten Sie von verhaltenspsychologischen Wirkungen?
Weniger Staat, weniger Abgaben, weniger Fluechtlinge, weniger falsche Energiewende, mehr Eigenverantwortung, mehr Freiheit, mehr Zukunftsoptimismus wuerde zu unbeschwerterem Ausgabeverhalten (weniger Angstsparen), mehr priv. Investitionen, mehr Aufbruchsstimmung fuehren, oder was meinen Sie?
M.E. muss erst unsere Staatsquote runter, damit sich danach die Bremse loest?
LG Joerg v NRW
Ob „mehr Freiheit“ und „mehr Eigenverantwortung“ im Sinne von weniger Schutz z.B. bei drohender Arbeitslosigkeit durch verstärkten Strukturwandel, der ja für die Dekarbonisierung wichtig ist, zu weniger „Angstsparen“ und „mehr Aufbruchstimmung“ in der Masse der Bevölkerung führen würde, wage ich zu bezweifeln. Die Agenda 2010, die exakt den von Ihnen formulierten Zielen von „weniger Staat“ dienen sollte, hat gezeigt, dass durch die lähmende Wirkung, die sie auf die Gewerkschaften bzw. die Arbeitnehmer hatte, jahrelang keine Lohnentwicklung mehr erreicht wurde, die die Produktivitätssteigerung ausgeschöpft hätte. Die Folge der sich daraus ergebenden schwachen Binnennachfrage war und ist bis heute die Investitionsschwäche außerhalb des Exportsektors. In Anlehnung an Volker Pispers würde ich vermuten, dass ein freier Fuchs im freien Hühnerstall nicht dazu führt, dass die Hühner mehr Eier legen. Dass eine langfristiger angelegte und dauerhaft verlässliche Wirtschaftspolitik anstelle von kurzfristigem Hin und Zurück irgendwelcher Förderbedingungen, Verordnungen oder gar Gesetzen (Bsp. Atomkraft, Energiewende, Elektromobilität etc.) förderlicher für private Investitionstätigkeit wäre, ist sicher richtig.
Danke für den klaren Kommentar und die bündige Antwort. Ich habe das Gefühl, dass Sie den Zusammenhang zwischen Staatsausgaben und Binnennachfrage schon hundertmal erkl¨ärt haben. Leider gibt es immer wieder einen aktuellen Anlass, um ihn nochmals zu erklären. Danke für Ihre Geduld.