Lufthansa-Abschluss mit Differenzierung: Wenn im Durchschnitt alle wenig bekommen, bekommen einige gar nichts

Der Tarifabschluss bei der Lufthansa setzt Zeichen – leider in negativer Hinsicht. Nicht nur, dass mit der Laufzeit über 26 Monate ein Zuwachs der Löhne und Gehälter zustande kommt, der aufs Jahr gerechnet (und nur so kann man vernünftigerweise rechnen) im Durchschnitt vielleicht gerade mal das Inflationsziel der Europäischen Zentralbank von 1,9 Prozent ausgleichen dürfte, man hat auch stark differenziert zwischen verschiedenen Bereichen der Lufthansa, offenbar je nachdem, wie gut die Geschäfte im jeweiligen Bereich laufen.

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Für die Bundeskanzlerin ist Austerität nichts anderes als solides Wirtschaften

Die Bundeskanzlerin hat auf dem Sparkassentag letzte Woche eine Reihe bemerkenswerter Sachen gesagt, und wir werden noch einige kommentieren. Unter anderem sagte sie dies:
Ich habe im Verlauf der letzten fünf Jahre zwei Worte kennengelernt, die ich vorher nie benutzt hatte. Das erste war „Realwirtschaft“, als es um die Finanzkrise ging. Und das zweite war „Austerität“. Bis dahin hieß das „Haushaltskonsolidierung“, „solides Wirtschaften“ oder „keine Schulden machen“. Jetzt heißt das „Austerität“, was sich ja schon als Wort so anhört, als ob ein Feind auf uns zukäme. Ich sage ganz einfach einmal: Die Lage, in der wir jetzt sind, ist ja nicht durch Austerität entstanden, sondern die ist daraus entstanden, dass wir irgendwann feststellen mussten, dass Griechenland ein Defizit von 15 Prozent hatte, und international jeder gesagt hat: Wir glauben nicht, dass das reduziert werden kann.“

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Zuwanderung und Lohn

Wir werden immer wieder gefragt, welche Löhne gezahlt werden sollen, wenn es Zuwanderung von außen in eine reiche Volkswirtschaft gibt, also in ein Land mit einem relativ hohen Kapitalstock, einem entsprechend hohen durchschnittlichen Lebensstandard und folglich relativ hohen Löhnen. Ist das hohe Lohnniveau dann noch zu halten? Wonach sollten sich Löhne richten? Nach den Verhältnissen im armen Herkunftsland der Arbeiter oder den Verhältnissen im reichen Ziel- oder Bestimmungsland? Wir haben dazu ausführlich Stellung genommen in unserem Buch „Das Ende der Massenarbeitslosigkeit“ von 2007 und wollen hier die entscheidende Passage noch einmal wiedergeben:

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Steueroasen – willkommene mediale Ablenkungsmanöver

Nach neuen Enthüllungen über Steueroasen wird dieser Tage wieder landauf, landab berichtet, wie sich eine Reihe von Reichen systematisch dem Zugriff des Fiskus entziehen. Das ist zwar Betrug an der Gesellschaft. Aber die Empörung darüber wirkt häufig ziemlich gespielt. Denn es ist doch dieselbe Süddeutsche Zeitung, die heute angesichts der Offshore-Enthüllungen das Klientel per „Finanzpolizei“ in Schach zu halten empfiehlt, das sie gestern noch hofiert hat mit Forderungen wie der, dass Deutschland seine „Leistungsträger entlasten“ müsse und per Kirchhofscher Spitzensteuersatzsenkung von 45% auf 25% („ein wahrhaft großes Werk“) vor allem den Reichen etwas Gutes tun sollte. Die sind nach landläufiger Auffassung die einzigen, die Arbeitsplätze durch Innovationen und Investitionen schaffen. Dazu braucht es hohe Gewinneinkommen, und zwar (laut FDP) sowohl als Anreiz als auch als Finanzierungsquelle.

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Die vermögenden Armen oder warum sich Immanuel Kant im Grabe umdreht

Es ist schon fast komisch, in Deutschland werden immer die falschen Themen hochgespielt, während man die richtigen weitgehend ignoriert. Das kann man u.a. wunderbar verfolgen anhand der Debatte um eine Studie zum Thema Vermögensverteilung in Europa, die erstaunlicherweise die Europäische Zentralbank (EZB) bzw. die zu ihr gehörenden Notenbanken durchgeführt haben. Diese Studie hat in den deutschen Medien hohe Wellen geschlagen nach dem Motto: Die Länder im Süden Europas sind ja eigentlich reich, warum müssen wir als relativ armes Land denen auch noch helfen? Die FAZ bemüht gar verschwörungstheoretische Überlegungen, die EZB habe die Daten „zurückgehalten“, bis die Rettung Zyperns beschlossen war. Der SPIEGEL macht das obendrein zur Titelgeschichte in dieser Woche. Nun ist diese EZB-Studie für sich genommen schon sehr problematisch und wenig aussagekräftig. Jens Berger hat dazu vor einigen Tagen einen lesenswerten kritischen Kommentar in den Nachdenkseiten publiziert und Stefan Dudey hat die entsprechende Pressemitteilung der Deutschen Bundesbank bereits vor zwei Wochen an dieser Stelle kritisch kommentiert.

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Der Freihandel als Retter oder warum die Phantasielosigkeit der Neoliberalen wirtschaftliche Entwicklung verhindert

Geradezu enthusiastisch wurde in Europa das Angebot von Präsident Obama aufgenommen, konkret über eine Freihandelszone zwischen den USA und Europa zu reden. Sofort war wieder von vielen Arbeitsplätzen die Rede, die dabei geschaffen werden könnten und von den Wachstumsmöglichkeiten, die sich dadurch böten.

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Prognosen und andere Irrtümer

Muss man die Zukunft systematisch manipulieren, um ein guter Ökonom zu sein? Die Jahreswende ist die Zeit, in der Ausblicke auf das vor uns liegende Jahr gegeben und gute Vorsätze gefasst werden, auf dass alles besser werde. Doch mit den guten Vorsätzen ist das so eine Sache. Wer etwas besser machen will, muss die in der Vergangenheit gemachten Fehler erst einmal erkennen, bevor er gegensteuern kann, von der Mühsal der Umsetzung vieler Vorsätze ganz abgesehen. Viel leichter ist das Leben für die, die sich die Fehlentwicklungen in der Vergangenheit gar nicht so genau anschauen und folglich auch keinen Anlass sehen, etwas zu ändern.

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Die griechische Krise hat deutsche Wurzeln

Statt die griechischen Haushaltsdefizite zu geißeln, sollte sich die EU besser über das Lohdumping der Deutschen aufregen

Griechenland steht unter Beschuss: Die Zinsen für seine Euro-Staatsanleihen steigen weit über den deutschen Wert, und die Ratingagenturen drohen mit einer Herabstufung der Bonität. Wenn in Deutschland die Rede auf diese jüngste griechische Tragödie kommt, werden fast alle Beobachter selbstgefällig. Man habe ja gewusst, dass es mit einem solchen Land in der Europäischen Währungsunion (EWU) nicht gut gehen könne.

Diese Haltung spiegelt ein Denkmuster wider, das man auf internationalem Parkett immer wieder antrifft, wenn Länder in Schwierigkeiten geraten: Wer Hilfe benötigt, muss etwas falsch gemacht haben. Das steht in seltsamem Gegensatz zu unseren zwischenmenschlichen Beziehungen: Wer einen schwer verletzten Menschen auf der Straße findet, schließt ja auch nicht automatisch auf dessen eigene Schuld, sondern hilft erst mal und fragt ihn vielleicht: „Wer hat Ihnen das angetan?“

Der Verletzte auf der Straße kann Opfer oder Täter sein. Es gibt ein Regelwerk, anhand dessen die Schuldfrage geklärt werden kann. Im Dschungel und leider auch in internationalen Beziehungen ist das anders. Wo es kein Gesetz gibt, das Gewalt gegen andere verbietet und mangelnde Sorgfaltspflicht bestraft, ist es von vornherein müßig, nach dem Schuldigen zu fragen.

Keine Regeln für die Schuldfrage

Griechenland ist zwar Mitglied in einer von Regeln geleiteten Gemeinschaft, der EWU. Nur leider sind die bestehenden Regeln, die Maastricht-Kriterien, nicht geeignet, Schuldfragen zu klären. Es gibt eine große Diskussion über Verfehlungen beim Haushaltsdefizit. Die wichtigere Frage aber, wie dieses Haushaltsdefizit entstanden ist und wessen Politik dazu beigetragen hat, wird ignoriert. Man weiß zwar, dass Staatsdefizite mit Wirtschaftswachstum zusammenhängen, dass aber Wachstum keine rein nationale Angelegenheit ist, sondern in einer arbeitsteiligen Welt von internationalen Zusammenhängen mitbestimmt wird, bleibt außen vor.

Stattdessen wird neben dem Haushaltsdefizit das allgemeine griechische Über-die-Verhältnisse-Leben beklagt, das sich in einem dramatischen Verlust an internationaler Wettbewerbsfähigkeit niederschlage. So schreibt die Financial Times am 3. Dezember 2009, in Griechenland seien die Lohnstückkosten übermäßig stark gestiegen, während sie in Deutschland seit Beginn der EWU fast konstant geblieben seien, was die griechische Wirtschaft schon lange krank aussehen ließ.

Das ist richtig: Nach Daten der EU-Kommission sind die Lohnstückkosten, die wichtigste Determinante der Wettbewerbsfähigkeit in einer Währungsunion, in Griechenland von 1999 bis 2009 um 26 Prozent gestiegen, in Deutschland aber nur um gut acht Prozent. Was aber ist damit gesagt? Entsprechen den Zielvorstellungen der EWU eher konstante Lohnstückkosten oder steigende? Darauf gibt es eine klare Antwort. Die EWU hat nämlich ein Inflationsziel von jährlich leicht unter zwei Prozent. Zu einem solchen Inflationsziel passen zweifellos Lohnstückkostenzuwächse von leicht unter zwei Prozent, sagen wir 1,9 Prozent. Kumuliert man die über zehn Jahre, kommt man auf knapp 21 Prozent Zuwachs.

21 Prozent sind also die Norm, an die sich alle hätten halten sollen. Griechenland landet bei 26, Deutschland bei acht; die EWU ohne Deutschland erreicht fast 27 Prozent. Wer hat stärker gegen die Regeln des Vertrags verstoßen, derjenige, der fünf Prozentpunkte über seinen Verhältnissen gelebt hat, oder der, der 13 Prozentpunkte unter seinen Verhältnissen gelebt hat? Und wie viel Schaden hat der größere Sünder dem kleineren zugefügt?

Wie kann man in Brüssel zulassen, dass ein Mitgliedsstaat in der internationalen Presse und bei den Ratingagenturen schlechtgemacht wird, während ein anderer, der weit mehr gegen gemeinsame Regeln verstoßen hat, gefeiert wird? Würden etwa feststehende Ideologien infrage gestellt, wenn man Deutschland tadelte, Griechenland aber lobte? Wenn man endlich offen anprangerte, dass ein Land mit Lohndumping andere Länder ungerechtfertigt in Schwierigkeiten bringt? Wer solche Fragen nicht bald beantwortet, wird erleben, dass ihm die europäische Einigung um die Ohren fliegt.

HEINER FLASSBECK ist Chefökonom der Uno-Handelsorganisation Unctad in Genf
FRIEDERIKE SPIECKER ist Ökonomin und Wirtschaftspublizistin.

Zuerst veröffentlicht in der Financial Times Deutschland, 11. Dezember 2009, S. 26

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Die Irrlehre vom Lohnverzicht

Globalisierungsangst und Neoliberalismus

Die größte Bedrohung unserer Gesellschaft geht nach wie vor von der immensen Arbeitslosigkeit aus. Kein Wunder, dass sich nach den vielen uneingelösten Wahlversprechen und der Unzahl erfolgloser Reformen der vergangenen sieben Jahre ein Machtwechsel anzubahnen scheint. Doch was kann er den Wählerinnen und Wählern, und unter ihnen insbesondere den Arbeitslosen, bringen?
Ein Blick in die Wahlprogramme der großen Parteien lehrt, dass sich die Analysen der wirtschaftlichen Misere kaum unterscheiden. Alle verfolgen das Ziel, den bundesdeutschen Arbeitsmarkt im internationalen Wettbewerb irgendwie konkurrenzfähiger zu machen. Übereinstimmend wird diagnostiziert, dass die Bundesrepublik ein massives Standortproblem habe, ausgelöst von zu hohen Löhnen, Lohnnebenkosten und Sozialleistungen. Auch die Therapieansätze gleichen sich: Senkung der Lohnnebenkosten, der Unternehmensteuern, der sozialen Leistungen oder gleich Umbau des gesamten Steuer- und Sozialabgabensystems.

Fortsetzung des Artikels hier als PDF-Datei.

Die Niederlande – ein Vorbild für Deutschland?

Erschienen in Wirtschaftsdienst, Mai 2002

Die Diskussion um die deutsche Lohnpolitik schlägt europäische Wellen. Der Chefvolkswirt der EZB, Otmar Issing, gefragt, ob die Löhne in Deutschland nicht dem französischen Bei spiel folgen und etwas stärker steigen sollten, um mehr Binnennachfrage zu entfalten, nennt die hinter dieser Vorstellung stehende Idee „absurd“. Er verweist wie viele andere vor ihm auf die Niederlande, die heute die Früchte einer Lohnzurückhaltung in Form steigender Beschäftigung ernteten. Diese Legende ist zäh. Über Jahre ist in Deutschland der moderne Wirtschaftspolitiker nicht müde geworden, das Nachbarland als Vorbild für erfolgreiches Gürtel-enger-Schnallen und eine grundlegende Reform des Wohlfahrtsstaates zu preisen.

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