Das Paralleluniversum des Bundeswirtschaftsministeriums

Der Monatsbericht für den Juli 2013 des Bundeswirtschaftsministeriums beschäftigt sich in dem Beitrag „Wirtschaftspolitisch relevante Bewegungen in der deutschen Leistungsbilanz im Jahr 2012“ mit dem auf über 185 Mrd. Euro angestiegenen Leistungsbilanzüberschuss, den Deutschland im vergangenen Jahr erzielt hat. Im Verhältnis zum nominalen Bruttoinlandsprodukt ist der Saldo gegenüber 2011 von 6,2 Prozent auf 7,0 Prozent gestiegen und damit in eine Größenordnung gelangt, die das Verfahren bei makroökonomischen Ungleichgewichten (Macroeconomic Imbalances Procedure, MIP) in Gang setzt.

Der Beitrag liest sich wie eine Verteidigungsschrift für die Folgen deutscher Wirtschaftspolitik, die Überschüsse als gerechtfertigt einstuft, „wenn sie … das Ergebnis hoher Leistungsfähigkeit von Unternehmen in wettbewerblichen Märkten sind“ (S. 12 ebendort). Das verwundert nicht angesichts der rein merkantilistischen Ausrichtung dieser Politik. Schon die Betitelung des letzten Absatzes des Beitrags mit „Der deutsche Leistungsbilanzsaldo ist ein Marktergebnis“ spricht Bände: Wenn etwas „Marktergebnis“ ist, so die Botschaft, dann ist es per se richtig, nicht zu hinterfragen und schon gar nicht zu ändern. (Ganz abgesehen davon, dass die Hauptursache der Überschüsse, das deutsche Lohndumping, alles andere als ein reines Marktergebnis ist, sondern im Wesentlichen durch die politisch verordnete Agenda 2010 erzwungen wurde, wie wir in vielen Beiträgen gezeigt haben.)

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Quo vadis, EWU? Teil 5: Das Damoklesschwert Wechselkurs ist leider unentbehrlich

Ausgangspunkt dieser Beitragsserie war die Kritik Rudolf Hickels (die andere teilen) an Überlegungen, die Krise der EWU durch ein Ende des Euro in seiner jetzigen Form zu überwinden. Das Ergebnis der bisherigen Ausführungen lautete, dass ein Währungsverbund, dem mindestens ein „Hartwährungsland“ angehört, gegen Spekulationswirren auf den Devisenmärkten und starke Handelsungleichgewichte helfen kann, wenn er über eine Kombination aus Wechselkurs- und Zinspolitik Inflationsdifferenzen ausgleicht. Um wenig vorhersagbar und damit möglichst nicht spekulationsanfällig zu sein, sollte der Mix, wann welche Instrumente und von welcher Notenbank eingesetzt werden, variieren. Je kleiner und je unsystematischer die Inflationsdifferenzen innerhalb des Verbundes sind, desto stabiler ist er. Denn dann verlocken keine großen und systematischen Zinsdifferenzen zu carry trades, und keine massive Auslandsverschuldung macht Wechselkursanpassungen absehbar und damit zum geeigneten Spekulationsobjekt.

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Quo vadis, EWU? Teil 4: Kooperation als unentbehrliches Mittel gegen Spekulation auf Zinsdifferenzen

Die Notenbank eines Landes mit eigener Währung kann Inflationsdifferenzen gegenüber den Handelspartnerländern durch eine Kombination aus Wechselkurs- und Zinspolitik abzufedern versuchen. Dabei muss sie einen Wechselkurs zu den Währungen der Handelspartner ansteuern, der ungefähr der Kaufkraftparität entspricht. Denn das sorgt auf Dauer für insgesamt hinreichend ausgeglichene Handelsströme und schützt das Land vor Überschuldung im Ausland wie vor Ansammlung großer ausländischer Vermögensbestände (die, wie viele Währungskrisen gezeigt haben, nicht vor Entwertung geschützt wären). Zugleich soll Spekulationen gegen die eigene Währung am Devisenmarkt vorgebeugt werden, indem die Zinsen so festgesetzt werden, dass zu erwartende Wechselkursänderungen durch Zinsdifferenzen ausgeglichen werden (Zinsparität).

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Quo vadis, EWU? Teil 3: Spekulation auf Wechselkurse – Stolperstein für jedes Währungssystem?

Kann ein Währungssystem die Gratwanderung zwischen Inflationsausgleich und Spekulationsanfälligkeit meistern? Das war die Frage, mit der Teil 2 dieser Serie endete und mit der ich mich in diesem Beitrag auseinandersetze.

Spekulation kann immer dann gewinnträchtig betrieben werden, wenn man Preisentwicklungen richtig vorhersieht. Dann kann man sich auf die Marktseite begeben, zu deren Gunsten sich die Preise entwickeln werden, und nach Eintritt der prognostizierten Entwicklung seine Geschäfte gewinnbringend abwickeln. Ein Beispiel: Wer die Steigerung eines Rohstoffpreises richtig voraussieht, kann diesen Rohstoff (oder Wertpapiere, die auf diesen Rohstoff lauten) einkaufen und nach eingetretener Preissteigerung verkaufen. Die Differenz von Einkaufs- und Verkaufspreis ist (abzüglich der Transaktionskosten) sein Spekulationsgewinn. (Das funktioniert auch bei fallenden Preisen, z.B. mittels Leerverkäufen.)

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Quo vadis, EWU? Teil 2: Lehren aus dem EWS

Der erste Teil dieser Serie zur Eurokrise endete mit folgendem Zitat aus Rudolf Hickels Beitrag „Raus aus dem Euro, zurück ins Chaos“ in den Blättern für deutsche und internationale Politik: „Wie auch immer die alternativ zum Euro vorgeschlagenen Wechselkursregime im Einzelnen ausfallen, am Ende würden die spekulativen Triebkräfte die Wechselkursbildung irrationalisieren.“ In diesem zweiten Teil will ich mich mit der Frage beschäftigen, ob es tatsächlich keine andere Möglichkeit gibt, die Devisenspekulationen auszutrocknen, als die, ihnen die Basis dadurch zu entziehen, dass man die Währungen relativ kleiner Länder abschafft und große Währungsräume bildet. Denn das wäre ein starkes Argument für den Erhalt des Euro.

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Das deutsche Wirtschaftswunder – und wie es wirklich war: Auch ein neuer Film erzählt nur die halbe Wahrheit

Montagabend lief im Ersten Deutschen Fernsehen der Dokumentarfilm „Unser Wirtschaftswunder“. Das Erste Programm schreibt selbst dazu: „Am Ende der spannenden Reise wird klar, dass kaum einer der beliebten Glaubenssätze der wissenschaftlichen Überprüfung standhält und dass der rasante wirtschaftliche Aufstieg der Bundesrepublik zwar ein großer Glücksfall, aber alles andere als ein Wunder war.“ Die FAZ kommentiert: „Alles war ganz anders als gedacht“.

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Quo vadis, EWU? Teil 1: Wie man den Euro nicht verteidigen kann

In seinem „Raus aus dem Euro, zurück ins Chaos“ überschriebenen Beitrag für die Blätter für deutsche und internationale Politik (Ausgabe 7’13) kritisiert Rudolf Hickel Vorschläge, die auf ein Ende des Euro in seiner jetzigen Form hinauslaufen. Er verteidigt die Gemeinschaftswährung als erstes mit dem Argument, dass „Devisenspekulationen, die die Wechselkurse auf Kosten der einzelnen Staaten beeinflussen, … dem Euroraum in den vergangenen zehn Jahren erspart geblieben [sind]. Es bedarf dagegen keiner großen Phantasie, sich die noch weitaus verheerenderen Ausmaße der derzeitigen Finanzmarktkrise vorzustellen, wenn diese unter dem Diktat von Spekulation gegen die einzelnen Währungen in Europa erfolgt wäre.“

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Noch ist Polen nicht verloren

Nach meinem Besuch in Polen hatte ich angekündigt, einmal etwas genauer die wirtschaftliche Entwicklung dieses Transformationslandes anzuschauen, das sich so sehr dem Neoliberalismus verschrieben hat. Um es vorwegzunehmen: Das Ergebnis ist nicht berauschend. Bei genauerer Analyse erkennt man schnell, wo es bei einem neoliberalen/neoklassischen Rezept hakt. Die Wirtschaftspolitik kann mit den neoklassischen Flexibilitätspostulaten im Hinterkopf und bei dem krampfhaften Versuch, die Maastricht-Kriterien nicht zu verletzen, kein Konzept finden, das mit der Wirklichkeit einer sich dynamisch entwickelnden Marktwirtschaft so in Übereinstimmung zu bringen wäre, dass dabei ein kräftiger und auf Sachinvestitionen basierender dynamischer Entwicklungsprozess in Gang käme.

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Wirken Auf- und Abwertungen oder wirken sie nicht?

In der Geschichte ökonomischer Diskussionen gibt es immer die gleichen Abläufe. Menschen in meinem fortgeschrittenen Alter haben bestimmte Argumentationsmuster daher schon etwa zwanzig Mal miterlebt und daher dauernd schreckliche déjà-vu-Erlebnisse. Das mit Abstand beste Beispiel dafür ist die Diskussion um Währungskrisen und die Wirkung von Auf- und Abwertungen. Nachdem sich die Diskussion in der Eurokrise allmählich in die von Friederike Spiecker und mir von Anfang an für richtig gehaltene Richtung entwickelt und das Kernproblem der Währungsunion immer mehr als Problem des Auseinanderlaufens der Wettbewerbsfähigkeit identifiziert wird, betreten jetzt von rechts und von links, genau so wie in allen Krisen vorher, die Auf- und Abwertungsskeptiker die Bühne.

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Sinn über flexible Wechselkurse – Jetzt macht es schon Sinn

Ein Leser weist uns darauf hin, dass Hans-Werner Sinn seine Position gerade radikal ändert. In der FAZ erklärt er: „Während der flexible Wechselkurs jeden Versuch, die Wettbewerbsfähigkeit durch eine Deflation zu stärken, kompensieren würde, wirkt eine Deflation in einer Währungsunion Wunder, wie das irische Beispiel gezeigt hat. Die irische Wirtschaft hat ihr Preisniveau seit 2006 relativ zum Rest der Eurozone um 15 Prozent gesenkt, und es gelang ihr, sich auf diese Weise zu retten.“

Das ist bemerkenswert, hat der gleiche Professor doch vor einigen Jahren mit Verve vertreten, die deutschen Löhne müssten in der Größenordnung von 20 Prozent sinken, um die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands gegenüber den aufstrebenden Schwellenländern wiederherzustellen. Das, wohlgemerkt, waren und sind aber Länder, mit denen wir gerade nicht in einer Währungsunion stecken, sondern die flexible Wechselkurse hatten und haben. Es besteht also Hoffnung, dass das Argument niedriger Lohnstückkosten in Osteuropa, Fernost oder sonst wo auf der Welt (oder noch primitiver: niedriger Löhne irgendwo auf dieser Welt) als tatsächlich unsinnig erkannt und damit ad acta gelegt werden wird, statt dessen aber eine sinnvolle Währungsordnung endlich auch ins Zentrum der deutschen Diskussion rücken könnte. Nebenbei erteilt Hans-Werner Sinn mit dieser Äußerung allen Hoffnungen der deutschen Bundeskanzlerin und der EU-Kommission auf ein Erstarken der Wettbewerbsfähigkeit Europas und damit eines Rettungsankers für die europäische Konjunktur aus dem außereuropäischen Ausland eine klare logische Absage, die wir nur begrüßen können.

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