Migration und Schuldenbremse – Kann die Wirtschaftswissenschaft den Extremismus „inhaltlich stellen“?

Dieser Beitrag ist am 4.2.2024 auf telepolis.de fast wortgleich erschienen.

Es ist richtig und zugleich eine Binsenwahrheit: Die Alterung der Bevölkerung Deutschlands genau wie der Klimawandel stellen unser Land und seinen Staatshaushalt vor langfristige Herausforderungen. Diese wären ohne Zweifel leichter zu bewältigen, wenn man einen realistischen Blick in die fernere Zukunft werfen könnte. Das kann man allerdings nicht. Es wird dennoch versucht, sei es mit einfachen Extrapolationen (also Fortschreibungen schon vorhandener Trends) oder mit mathematisch anspruchsvollen Modellen.

Eine Studie der Stiftung Marktwirtschaft zur Wirkung der Migration auf den Saldo des Staatshaushalts, die mit so einem Modell operiert, hat es Anfang Januar prominent in die BILD-Zeitung geschafft. Die drei Autoren, darunter am bekanntesten Bernd Raffelhüschen, kommen mit ihrer Generationenbilanzierung zu dem Schluss, dass das Ergebnis zukünftiger Zuwanderung für die Staatskasse negativ ist und (bei den von ihnen angenommenen netto 293.000 Zuwanderern pro Jahr) knapp das Anderthalbfache der aktuellen jährlichen Wirtschaftsleistung beträgt. Die Bildzeitung destillierte daraus am 10. Januar die Botschaft: „Die Zuwanderung, wie sie bisher geschieht, kostet uns gesamtwirtschaftlich 5,8 Billionen Euro.“ Die AfD griff diese perfekt in ihre fremdenfeindliche Agenda passende Zahl umgehend auf, so nicht zuletzt der AfD-Bundestagsabgeordnete Kay Gottschalk in einem Interview mit dem Deutschlandfunk.

Ihre Forschungsergebnisse wollen die Ökonomen allerdings nicht als Prognosen verstanden wissen, sondern lediglich als Projektionen. Der Unterschied ist enorm: Prognosen treffen Aussagen über die Wahrscheinlichkeit des Eintretens zukünftiger Entwicklungen. Projektionen hingegen beantworten nur Fragen nach dem Schema „Was wäre, wenn…?“, ohne sich damit auseinanderzusetzen, wie wahrscheinlich das „Wenn“ ist. Doch dieser Unterschied geht in der öffentlichen Wahrnehmung und Interpretation unter, was der Vereinnahmung solcher Studienergebnisse für (rechts-)populistische Thesen Tür und Tor öffnet.

Mit gleichem Maß messen

Viel ist derzeit davon die Rede, Rechtsextremisten und Rechtspopulisten „inhaltlich zu stellen“. Doch dafür genügt es nicht, auf die Nähe eines Forschers wie Bernd Raffelhüschen zur Versicherungswirtschaft hinzuweisen, die vermuten lässt, dass hier Forschungsergebnisse im eigenen Interesse produziert werden und die in diesem Fall absehbare Vereinnahmung von rechts in Kauf genommen wird. Vielmehr muss die Forschungsarbeit selbst unter die Lupe genommen werden. Ist die verwendete Methode unhaltbar, darf man den Forscher kritisieren und muss das auch tun, je mehr seine Forschungsergebnisse Populismus und Extremismus Vorschub leisten.

Gehen allerdings auch als seriös geltende Wissenschaftler methodisch unhaltbar vor, gilt das Gleiche: Die Ergebnisse ihrer Forschung sind genauso zu kritisieren, ob sie einem politisch gerade gelegen kommen oder nicht. Wer sich von deren Ergebnissen nicht ebenso distanziert, trägt dazu bei, dass aus dem „inhaltlich Stellen“ von Populisten und Extremisten nichts wird. Denn werden sachlich nicht fundierte Ratschläge aus der Wissenschaft nur deshalb von Politikern akzeptiert und in Entscheidungen umgesetzt, weil sie den eigenen Vorurteilen entsprechen oder von Leuten aus einem Netzwerk oder einer Partei stammen, der sie vertrauen, führt das zu berechtigten Zweifeln an der Qualität der Entscheidungen zumindest bei denen, die die Vorurteile nicht teilen oder andere Vorurteile haben. Und, schlimmer noch, diese Entscheidungen führen zu keiner systematischen Lösung der drängenden Herausforderungen unseres Landes, weil sie eben kein haltbares Fundament haben. Beides sorgt für weiteren Aufwind von Populismus und Extremismus.

Um ein Beispiel für dieses Problem geht es in diesem Beitrag.

Annahmen bleiben immer Annahmen

Gesamtwirtschaftliche Projektionen sollen zeigen, welche Ergebnisse unser Wirtschaftssystem unter bestimmten Annahmen zeitigt. Die dabei verwendeten Modelle, mit denen auch sehr lange Zeiträume in den Blick genommen werden, stehen alle vor dem Problem, dass die für die Berechnungen zu treffenden Annahmen immer fragwürdiger werden, je weiter sie in die Zukunft reichen. Sind die Annahmen nicht völlig aus der Luft gegriffen, sondern basieren auf Werten aus der Vergangenheit, extrapoliert man bisherige Trends. Die stellen allerdings ein Mischergebnis aus Institutionen, Systemdynamik und exogenen Schocks dar, die sich so kaum wiederholen werden.

Diesem Problem versucht man dadurch zu begegnen, dass jeweils mehrere Szenarien berechnet werden, die sich in den unterstellten Annahmen unterscheiden. So soll der Einfluss der Annahmen auf das Ergebnis sichtbar gemacht werden. Führen die Szenarien allerdings zu stark voneinander abweichenden Ergebnissen, belegt das unmittelbar die Beliebigkeit der Modellergebnisse und schmälert ihren Wert für die wirtschaftspolitische Beratung.

Modelle ohne den Kern der Marktwirtschaft

Noch gravierender als die Unsicherheit hinsichtlich der Annahmen ist das Problem, dass die verwendeten Modelle in aller Regel den Kern der wirtschaftlichen Entwicklung, nämlich den Investitionsprozess, außer Acht lassen. Er wird mechanistisch durch Annahmen über den technischen Fortschritt bzw. die Produktivitätsentwicklung und das sogenannte Produktionspotenzial ersetzt. Man unterstellt über viele Jahrzehnte etwas, was in Prognosen nicht einmal für ein Jahr und auch nicht für den Durschnitt weniger Jahre valide vorhergesagt werden kann.

Der zentrale Vorwurf gegen dieses Vorgehen in den Modellen besteht darin, dass eine Rückwirkung der aus den Projektionen gezogenen wirtschaftspolitischen Schlussfolgerungen auf den Investitionsprozess von vorneherein ausgeschlossen ist. Die am Ende aus dem Modell abgeleiteten Ratschläge werden nicht einmal mit den vorab getroffenen Annahmen abgeglichen. Damit wird die Möglichkeit, dass empfohlene Maßnahmen das adressierte Problem nicht lösen, sondern sogar verstärken oder andere Probleme hervorrufen können, von vornherein ignoriert.

Im Fall der genannten Studie von Raffelhüschen, Seuffert und Wimmesberger (und all ihren Vorgängervarianten) wird geschlussfolgert: „Zukünftige Anpassungen des Abgaben- und Leistungsniveaus [des Sozialstaats; Anm. d. Verf.] bleiben … unvermeidlich.“ Der Staat soll also sparen, um die Staatsschulden nicht oder weniger anwachsen zu lassen. Bei Umsetzung dieser Forderung fällt aber die gesamtwirtschaftliche Nachfrage unmittelbar und – je nach vorgeschlagenem Zeithorizont der Maßnahme – auch auf Dauer. Das wirkt sich wegen der dann sinkenden Kapazitätsauslastung direkt negativ auf die private Investitionsbereitschaft aus.

Damit verändert sich automatisch die Entwicklung der Produktivität, die im Modell jedoch exogen vorgegeben ist. Alle mit dem Modell ermittelten Kennziffern, die mit der zukünftigen Wirtschaftskraft des Landes zusammenhängen wie etwa staatliche Defizit- und Schuldenstandsquoten oder das durchschnittliche reale Pro-Kopf-Einkommen sind nicht mehr haltbar, sobald die empfohlenen Maßnahmen tatsächlich umgesetzt werden.

Und das ist beileibe kein Effekt, der auf ein konjunkturelles Auf und Ab geschoben und daher bei der Argumentation mit den Modellergebnissen außer Acht gelassen werden könnte mit dem Hinweis, das Modell gebe ja nur langfristige Projektionen wider. Denn die staatliche Nachfrage soll ja aus Sicht der Forscher als Ergebnis des Modells systematisch verändert werden, gibt also systematisch einen negativen gesamtwirtschaftlichen Impuls. Ob er durch positive Impulse aus den anderen drei Sektoren (private Haushalte, Unternehmen, Ausland) ausgeglichen oder gar überkompensiert werden kann, ist völlig offen und wird im Rahmen weder des Modells noch der Studie diskutiert.

Die Produktivitätsentwicklung ist aber kein x-beliebiger Parameter in dem großen Bündel unterstellter Modellvoraussetzungen. Vielmehr handelt es sich um die zentrale Größe in Hinblick auf die langfristige Entwicklung eines Landes, also um das Ergebnis all der Kräfte, die in der Wirtschaft interagieren. Je stärker die Produktivität steigt, desto mehr kann eine einzelne Arbeitskraft produzieren. Dadurch lassen sich die Folgen eines Rückgangs der Erwerbstätigenzahl für die gesamte Produktion ausgleichen oder zumindest abmildern. Das ist für die Bedarfsdeckung einer alternden Bevölkerung der zentrale Punkt, der keinesfalls beiseitegeschoben werden darf, wie das bei der Methode der Generationenbilanzierung in der besagten Studie der Fall ist.

Selbstverständlich kann man darüber diskutieren (und forschen), inwieweit der Verteilungsmechanismus z.B. in der Rentenversicherung oder durch das Steuersystem die Gesamtproduktion ebenfalls beeinflusst. Aber dieser Aspekt rechtfertigt nicht, den Einfluss der staatlichen Nachfrage auf die Investitionstätigkeit zu ignorieren. Am Ende liefert die Studie wegen dieses gravierenden methodischen Mangels keine Lösung für das von ihr adressierte Problem. Vielmehr wird es durch die aus ihr gezogenen Schlussfolgerungen verschärft.

Gleicher Methodenfehler beim Sachverständigenrat

Aber auch bei anderen Vorausschätzungen wird der gleiche methodische Fehler gemacht, so aktuell der Sachverständigenrat (SVR) in einem Policy Brief zur Reform der Schuldenbremse. Der SVR beteiligt sich mit seiner Studie an der Diskussion um die Schuldenbremse, die durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 15. November 2023 Fahrt aufgenommen hat. Um zu zeigen, welche Lockerungen bei der Schuldenbremse aus seiner Sicht möglich wären, berechnet der SVR zukünftige öffentliche Schuldenstandsquoten. Dazu verwendet er zwar ein ganz anderes Modell als Raffelhüschen und bemüht sich, mit aufwendigen Simulationen verschiedener Szenarien, die auch das Auftreten von Notlagen einbeziehen, seine Sicht der Dinge zu untermauern. Aber das Wachstum der Produktivität, des Produktionspotenzials und der Wirtschaftskraft wird vorgegeben:

[Es] wird … ein reales Wachstum des BIP gemäß der Potenzialprojektion des Sachverständigenrates unterstellt (JG 2023 Ziffer 101).Konkret steigt das Wachstum des realen BIP von etwa 0,4 % im Jahr 2024 auf 0,8 % bis zum Jahr 2040. In den Folgejahren geht das Wachstum um etwa 0,1 Prozentpunkte zurück, bevor es bis zum Jahr 2070 auf 1 % steigt. Außerdem wird angenommen, dass die Konjunkturkomponente aufgrund ihrer symmetrischen Ausgestaltung null ist.“ (Seite 5)

Auch der SVR „löst“ also das Problem, den Kern der Marktwirtschaft in seinem Modell auszulassen, indem er die langfristige Entwicklung der Produktivität und Wirtschaftskraft des Landes, dessen zukünftige Staatsverschuldung er betrachten will, als exogen ansieht. Damit unterstellt er, dass die staatliche Nachfrage auf Dauer keinen Einfluss auf die private Investitionstätigkeit nimmt. Das ist absurd. Der Staatssektor kann seine Gesamtverschuldung niemals verändern, ohne dass das gravierende Rückwirkungen auf den Privatsektor hat (wie hier gezeigt oder in Kapitel 3 des Atlas der Weltwirtschaft 2022/23).

Der SVR räumt das an anderer Stelle in der Studie sogar ein, nämlich dort, wo es um die Konjunkturkomponente geht, mit der die Obergrenze der Neuverschuldung „konjunkturgerecht“ bestimmt wird:

Im derzeit angewandten Verfahren [zur Berechnung der Konjunkturkomponente; Anm. d. Verf.] wird als Maß für die konjunkturelle Situation die Produktionslücke als prozentuale Abweichung des BIP vom Produktionspotenzial genutzt. Das Produktionspotenzial entspricht dem Produktionsvolumen, das bei Normalauslastung erreicht wird. Dabei handelt es sich jedoch um eine unbeobachtbare Größe, die in Echtzeit geschätzt werden muss und teils sehr revisionsanfällig ist. …  Insbesondere nach Rezessionen können die Revisionen des Produktionspotenzials erheblich sein … Bei starken Revisionen wird gemessen an der tatsächlichen konjunkturellen Entwicklung entweder zu viel Verschuldung zugelassen oder zu wenig, mit unerwünschten Auswirkungen auf die gesamtwirtschaftliche Nachfrage.“ (Seite 9, Fettdruck von mir)

Für seine über 50 Jahre reichenden Projektionen verzichtet der SVR aber auf eine Berücksichtigung dieses Zusammenhangs. Der gilt in den Augen des SVR offensichtlich nur kurzfristig, spielt also langfristig keine Rolle. Das passt dazu, den Investitionsprozess zu ignorieren: Wer ihn exogen festsetzt, der braucht sich nicht zu fragen, ob ein akuter Mangel an Nachfrage die Kapazitätsauslastung so senkt, dass Investitionsanreize fehlen und damit das Angebotspotenzial von morgen sinkt.

Zwar fordert der SVR selbst, dass „[e]ine Reform der Schuldenbremse … ökonomisch fundiert sein und so Anreizmechanismen ebenso wie makroökonomischen Dynamiken Rechnung tragen [sollte].“ (Seite 2) Aber in dem Modell, mit dem der SVR die Validität seiner Vorschläge zu belegen sucht, kommen dynamische Rückkoppelungsprozesse zwischen dem Saldo des Staatshaushalts und der Privatwirtschaft nicht vor.

Damit handelt es sich bei der Arbeit des SVR wie bei der Studie von Bernd Raffelhüschen um eine groß angelegte Rechenübung, die genau das nicht erfassen kann, worum es ihr geht: die zukünftige Tragfähigkeit der öffentlichen Schulden.

Reformvorschläge des Sachverständigenrats zur Schuldenbremse

Der SVR spricht sich keineswegs gegen die Schuldenbremse aus, um der Fiskalpolitik ihre Handlungsfähigkeit zurückzugeben, sondern verteidigt sie im Grundsatz. Er schlägt lediglich Korrekturen bei der Berechnung der Konjunkturkomponente, eine gewisse Lockerung der Obergrenze der zulässigen Neuverschuldung und einen verlängerten Anpassungszeitraum für das Defizit nach einer Notlage vor.

Original-Abbildung aus dem Policy Brief 1/2024 des Sachverständigenrats

Die linke der beiden gezeigten Abbildungen (Original-Schaubilder aus der Studie, Seite 6) soll offenbar belegen, dass es sich der deutsche Staat aus Sicht des SVR leisten kann, etwas weniger streng zu haushalten, als es die Schuldenbremse vorschreibt. Würde man jedoch statt des unterstellten Wachstums die gegenwärtige wirtschaftliche Stagnation zur Grundlage der Modellrechnungen machen, fiele die Grafik anders aus: Die Staatsschuldenquote sänke keineswegs kontinuierlich (wie die gestrichelte Linie anzeigt), und zwar ohne Annahme irgendwelcher exogener Notlagen.

Ginge man gar davon aus, dass die Tilgungspflichten, die die Schuldenbremse dem Staat in naher Zukunft auferlegt, nicht von einer entsprechend höheren privatwirtschaftlichen Nachfrage aufgefangen würden (was die aktuelle Misere leider nahelegt), müsste man statt Stagnation in den kommenden Jahren Rezession unterstellen. Dann sänke die Staatsschuldenquote trotz oder besser gesagt: wegen Einhaltung der Schuldenbremse keinesfalls, wie vom SVR im Status-quo-Szenario für die kommenden Jahre „berechnet“. Wo aber wäre dann der Spielraum bei der Verschuldung, mit dem der SVR seinen Reformvorschlag rechtfertigt?

Die Status-quo-Rechnung des SVR ist von vornherein falsch. Man stelle sich vor, sein Reformvorschlag würde umgesetzt. Dann würden die Verfechter der Schuldenbremse in ihrer jetzigen Form womöglich jede in naher Zukunft eintretende Abweichung vom berechneten Pfad der Schuldenstandsquote auf die „Aufweichung“ der Schuldenbremse durch die Reform zurückführen. Ob durch die Reform eine wesentlich schlechtere gesamtwirtschaftliche Entwicklung und damit ein höherer Schuldenstand vermieden werden konnte als ohne sie, würde dann von den Reformbefürwortern, die dem Vorschlag des SVR gefolgt wären, schwer zu belegen sein. Denn ihnen würde voraussichtlich genau die vom SVR vorgelegte Berechnung entgegengehalten werden, die ja nicht schon kurzfristig hinfällig sein könne, wenn sie denn überhaupt sinnvoll gewesen sein soll. Die Wissenschaftler mögen sich dann hinter dem Hinweis, es habe sich ja nur um eine Projektion und keine Prognose gehandelt, verschanzen. Dieser feine Unterschied dürfte aber in der öffentlichen Debatte untergehen und nützt denen nichts mehr, die ihre konkrete Politik auf den Vorschlag gestützt haben.

Folgen der Studie des Sachverständigenrats

Der Politik ist mit der Studie des SVR daher ein Bärendienst erwiesen: Gegen das, was wirklich notwendig wäre, nämlich die Abschaffung der Schuldenbremse, stemmt sich die Studie vehement (das ist möglicherweise ihr Hauptziel), gerade weil sie um pragmatische Lösungen bemüht scheint. Damit ist an die notwendige Zweidrittelmehrheit im Bundestag zur Abschaffung der Schuldenbremse weniger zu denken denn je.

Folgte eine Zweidrittelmehrheit dem Reformvorschlag, geriete diese Mehrheit in die oben beschriebene Klemme, was Wasser auf die Mühlen der gegen die Grundgesetzänderung Eingestellten lenkte. Zudem würde die Politik zu wenig und zu einseitige fiskalpolitische Handlungsfreiheit zurückgewinnen, als dass sie die Stabilisierungsaufgabe mit Sicherheit und ohne soziale Schlagseite lösen könnte. Dann liefe die Regierung Gefahr, sowohl für einen steigenden Schuldenstand als auch für eine schwache Wirtschaftsentwicklung verantwortlich gemacht zu werden.

Bleibt die Politik bei der Schuldenbremse in ihrer jetzigen Form, kann sie ihrer Stabilisierungsaufgabe ohnehin nicht gerecht werden – von den drängenden Aufgaben beim Klimaschutz oder der Bildung gar nicht zu reden. Das wird der Regierung erst recht als Versagen ausgelegt werden.

Auf diese Weise steht die Politik laufend vor einem Scherbenhaufen, der den Populismus und Extremismus fördert. Denn der durch die Schuldenbremse verschärfte inländische Nachfragemangel nährt die Investitionsschwäche. Das verstärkt die Abhängigkeit von der seit vielen Jahren konsumierten Droge der eigenen Leistungsbilanzüberschüsse, sprich: der Verschuldung des Auslandes. Diese Droge kann aber angesichts der hohen deutschen Überschüsse nicht weiter verstärkt werden, ohne Protektionismus im Rest der Welt zu erzeugen.

Mit Modellrechnungen, die nichts mit gesamtwirtschaftlichen Abläufen zu tun haben, kann man in der Ökonomie jede x-beliebige populistische These „wissenschaftlich“ mit mehr oder weniger großem mathematischen Aufwand untermauern. Bei Befolgen der auf einer solchen Basis erteilten Ratschläge muss die Wirtschaftspolitik regelmäßig Schiffbruch erleiden. Solange dieses ungeeignete Handwerkszeug nicht ad acta gelegt wird, verhindern die damit operierenden Ökonomen, dass eine bessere, erfolgreichere Politik für die Bevölkerung gemacht wird. Sie unterstützen damit – bewusst oder unbewusst – die extremen politischen Ränder statt sie inhaltlich zu stellen.

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