Was bedeutet Sparen?

Antwort auf einen Leserkommentar

In meinem Beitrag „Christian Lindner verteidigt die Schuldenbremse auf Kosten der Gesamtwirtschaft“ steht folgender Satz: „Sparen heißt, weniger Ausgaben zu tätigen als Einnahmen zu erhalten. Und das erfordert spiegelbildlich, dass jemand mehr ausgibt, als einnimmt, sich also verschuldet.“ Das kritisiert ein Leser, der darauf hinweist, der Begriff „Sparen“ umfasse mehr als die Veränderung des Geldvermögens, nämlich zusätzlich auch noch die Veränderung des Sachvermögens. Letzteres bezeichnet man auch als (Sach-)Investition. Man müsse beides zusammen betrachten, Geld- und Sachvermögen, also das Reinvermögen bzw. dessen Änderung, wenn man von „Sparen“ spreche. Das ist vollkommen richtig, wenn man den Begriff „Sparen“ umfassend definieren will, was aber gar nicht mein Anliegen war.

Sparen ist Änderung des Reinvermögens, also Änderung des Geld- und des Sachvermögens

Schulden können immer nur Geldschulden sein. Vermögen hingegen kann Sachvermögen und/oder Geldvermögen sein. Insofern kann – rein formal betrachtet – auch in Form von einer Sachvermögenssteigerung gespart werden, ohne dass sich jemand dafür verschuldet haben muss und parallel dazu entsprechend Geldersparnisse angefallen wären. Das ist jedoch in einer modernen Wirtschaft rein quantitativ gesehen ein zu vernachlässigender Fall.

In „Sparen = Investieren“ aus der VGR bedeutet „Sparen“ Sachvermögensänderung

Allerdings weist die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung (VGR), die – anders als die Finanzierungsrechnung der Deutschen Bundesbank – nur realwirtschaftliche Vorgänge abbildet, am Ende eines Berichtszeitraums aus, dass die Investitionen so hoch sind wie die Ersparnisse: S = I. Weil die Investitionen (I) gleichbedeutend sind mit einer Sachvermögensänderung (S), könnte man also auf die Idee kommen, dass Überlegungen zu monetären Strömen wie der zitierte Zusammenhang zwischen Einnahmen und Ausgaben recht uninteressant sind im Vergleich zum realwirtschaftlichen Sparen.

Das erinnert an die sogenannte „Dichotomie“, die Zweiteilung der Wirtschaft in eine reale und eine monetäre Sphäre. Dieser Begriff taucht in der monetaristischen Theorie auf, wonach Geld nur einen Schleier über der Realwirtschaft bilde, der auf letztere langfristig keinen Einfluss habe, den man daher getrost beiseiteschieben könne, wenn man sich mit der Realwirtschaft und ihrer langfristigen Entwicklung beschäftigt. Womöglich spielen Geldersparnisse und Schulden kaum eine Rolle, weil sie sich immer zu null saldieren und am Ende Sachinvestitionen und Ersparnisse, nämlich Zuwächse an Sachvermögen, ohnehin stets gleich hoch sind?

Man könnte es eine Art Bierbrauer-Geheimnis der Volkswirte nennen: Während des Bierbrauens werden viele Zusatzstoffe eingesetzt, die dem Bier am Ende des Prozesses wieder durch Filter entzogen werden. Obwohl diese Zusatzstoffe im Endprodukt nicht mehr vorhanden sind, sind sie für die Bierproduktion unerlässlich. Könnte es sich mit der Verschuldung als Zusatzstoff zur Bildung von Sachvermögen ähnlich verhalten?

Gibt es Sachvermögenszuwächse ohne Verschuldung?

Die zentrale Frage zur Funktionsweise und dem Entwicklungspfad einer monetären Marktwirtschaft ist, wie die Sachvermögensbildung auf anonymen Märkten zustande kommt. Dass die Sachvermögensbildung, wenn sie denn stattgefunden hat, als Ersparnis zu bezeichnen ist, stimmt. Diese definitorische Begriffserläuterung, auf die der Leser hinweist, trägt aber zur Beantwortung der Frage, wie es zu Sachinvestitionen kommt, nichts bei. Es gilt zu verstehen, welche Rolle Verschuldung und Geldersparnis für den Sachinvestitionsprozess spielen.

Die neoklassische Vorstellung: S vor I

Die neoklassische Erklärung des Investitionsprozesses sieht so aus: Sparer bieten ihre Geldersparnisse potenziellen Sachinvestoren zur Finanzierung von deren Projekten auf dem Kapitalmarkt (direkt oder über den Umweg mit Banken) an. Das Kapitalangebot verhält sich wie im einfachen Marktmodell: Es steigt, wenn der erzielbare Preis – das ist der Zinssatz – zunimmt. Die Kapitalnachfrage verhält sich genau umgekehrt: Sie fällt, wenn der Zinssatz steigt. Aus dem Zusammenspiel von Kapitalangebot und Kapitalnachfrage ergibt sich der markträumende, gleichgewichtige Zinssatz.

Wird mehr gespart (die Angebotskurve im einfachen Marktmodell verschiebt sich nach rechts), steigt das Kapitalangebot. Es trifft auf die gleiche Kapitalnachfrage (die Nachfragekurve im einfachen Marktmodell bleibt unverändert). Daraufhin sinkt der gleichgewichtige Zinssatz und insgesamt werden mehr Finanzierungsmittel eingesetzt. Denn dank geringerer Finanzierungskosten lohnen sich mehr Sachinvestitionen. Im Ergebnis werden dann auch tatsächlich mehr Sachinvestitionen durchgeführt.

So stellt die Neoklassik einen positiven kausalen Zusammenhang her, dessen logische Richtung von der monetären Sparbereitschaft zur realwirtschaftlichen Investitionsbereitschaft führt. Kurz gesagt, die Neoklassik steht auf dem Standpunkt „S vor I“. Das ist – wegen der Behauptung der Kausalrichtung von der Ersparnis zur Investition – mehr als nur die beschriebene definitorische Identität S = I der VGR.

Zwei der vielen Fehler der neoklassischen Theorie

Diese Theorie sollte ad acta gelegt werden. Ich will hier zunächst nur zwei der vielen Gründe nennen, die eindeutig gegen sie sprechen.

Zum einen: Wie verwandeln sich auf der realwirtschaftlichen Ebene nicht verbrauchte Konsumgüter in Investitionsgüter? Die Geldersparnis der privaten Haushalte entsteht ja aus den nicht ausgegebenen Einkommen, die sie im Zuge des Produktionsprozesses z.B. in Form von Löhnen für ihre Arbeitsleistung erhalten. Wie wissen die Unternehmen, welche Güter aufgrund des Sparverhaltens der Konsumenten nicht gekauft werden? Die neoklassische Theorie geht implizit davon aus, dass die Unternehmen die entsprechend nicht benötigten Konsumgüter von vornherein nicht herstellen, sondern die Produktionsfaktoren zur Herstellung der stattdessen gefragten Investitionsgüter einsetzen. Für die kurzfristigen Anpassungsprozesse, die das praktische Geschehen realistischer abbilden, interessiert sich die neoklassische Theorie nicht unter Verweis auf die lange Frist, um die es ihr geht. Denn langfristig würden die Unternehmen nicht das Falsche produzieren, weil sie dann pleite gingen.

Mit diesem altbekannten Fristentrick drückt sich die neoklassische Theorie vor einer dynamischen Betrachtung. Ihre rein statische Perspektive beruht auf der logisch unbewiesenen, seit Schumpeter theoretisch in den Schatten gestellten und empirisch laufend widerlegten Annahme, die Gesamtwirtschaft strebe ein Gleichgewicht an. Verlässt man diese Perspektive, kommt man unweigerlich zu der Erkenntnis, dass alle gesamtwirtschaftliche Entwicklung pfadabhängig ist und daher die kurzfristigen Anpassungsprozesse niemals vollständig ignoriert werden dürfen, wenn man etwas Relevantes über die Wirtschaftsentwicklung herausfinden will.

Zum anderen: Die Neoklassik argumentiert, dass es Gewinne oberhalb von Unternehmerlohn und Finanzierungskosten auf Dauer nicht gebe, weil sie den innovativen Pionierunternehmen durch Nachahmer wegkonkurriert würden. Langfristig produzierten nämlich alle Anbieter mit der gleichen, effizienten Technologie, da sie sonst aus dem Markt ausschieden. Weil sich die Neoklassik nur für das von ihr postulierte langfristige Gleichgewicht der Wirtschaft interessiert, lässt sie Gewinne und damit wiederum jegliche dynamische Betrachtung der Wirtschaftsabläufe von vornherein weg.

Nimmt man Gewinne als zentralen Motor jeder Marktwirtschaft und insbesondere jeder Investitionstätigkeit mit ins Bild, ändert sich die Beurteilung des Kapitalmarkts grundlegend. Denn Gewinne können als Finanzierungsquelle für Investitionen dienen. Sie fallen jedoch nur in dem Maße an, in dem die Unternehmen ihre Produktion auch absetzen. Sparbemühungen der privaten Haushalte senken die Gewinne des Unternehmenssektors automatisch. Was also an zusätzlichem Kapitalangebot durch die sparenden Haushalte auf den Kapitalmarkt wandert, fehlt im gleichen Zuge an Kapitalangebot durch die Unternehmen. Allein deshalb kann es nicht zu sparbedingten Zinssenkungen kommen, die die Investitionstätigkeit anregen könnten. Der Zinssatz kann die ihm von der Neoklassik zugedachte Ausgleichsfunktion zwischen Geldersparnis und Kapitalnachfrage zu Sachinvestitionszwecken nicht erfüllen.

Gibt es den Zinsmechanismus aber nicht, bricht die Idee S vor I in sich zusammen.

Finanzierung von Sachinvestitionen durch neu geschaffenes Geld der Banken oder durch Geldersparnisse der Privaten?

Darüber hinaus ist anzumerken, dass es keiner vorab angesammelten Geldersparnisse der Privaten zur Finanzierung von Sachinvestitionen bedarf. Die Finanzierung mittels Kreditvergabe durch Banken ist jederzeit möglich, ohne dass dafür irgendwelche Spareinlagen anderer Bankkunden erforderlich wären. Die Banken haben das Privileg, Geld aus dem Nichts neu zu schaffen. Buchungstechnisch steht der Kreditschuld eines Bankkunden automatisch eine gleich hohe Forderung der Bank gegen diesen Kunden gegenüber.

Dieser Vorgang ist etwas ganz anderes, als wenn Geldeinnahmen aus dem Verkauf von Leistungen (z.B. Lohneinkommen für Arbeitsleistung) nicht vollständig wieder ausgegeben werden. Auf diesem Weg bilden Private, die kein Geld schöpfen können und dürfen, Geldersparnisse. Sie können diese zur Finanzierung von Sachinvestitionen auf dem Kapitalmarlt anbieten oder auf dem Konto bei einer Bank einzahlen. Mit dieser Geldersparnis ist aber im Gegensatz zu neu geschöpftem Geld immer ein Nachfrageausfall verbunden.

Sparneigung der privaten Haushalte belastet Investitionsneigung

Das ist der Hauptgrund, weshalb Sparen und Investieren genau umgekehrt zur neoklassischen Sichtweise zusammenhängen – und das war das Erklärungsziel meines oben genannten Beitrags: Auf gesamtwirtschaftlicher Ebene bedroht die aktive Bildung von Geldersparnissen die Sachvermögensbildung. Sparen (im Sinne von mehr Einnahmen haben als Ausgaben tätigen zu wollen, also das Streben nach Geldersparnis) ist nicht neutral in Hinblick auf die Bereitschaft, Sachinvestitionen vorzunehmen. Denn von dieser Form des aktiven Geldsparens gehen auf den anonymen Märkten negative Absatzsignale für die Anbieter aus.

Die privaten Haushalte sind in Deutschland wie in den meisten Industrieländern im Durchschnitt Sparer: Sie wollen für die Zukunft vorsorgen oder sparen auf eine bestimmte große Anschaffung hin. Das dämpft die Nachfrage auf den Gütermärkten. Selbst wenn nach einiger Zeit größere Anschaffungen unter Verwendung privater Geldersparnisse von einzelnen Haushalten getätigt werden, sparen zur gleichen Zeit andere Haushalte.

Der Unternehmenssektor, der den privaten Haushalten Einkommen für deren Arbeitsleistung zahlt, mit der wiederum Güter produziert werden, hat also aufgrund der Sparneigung der Arbeitnehmer, die zugleich seine Kunden sind, dauernd ein Absatzproblem. Das vollkommen übliche Geldsparen der privaten Haushalte lastet demnach grundsätzlich auf der Investitionsbereitschaft. Es zu überspielen, ist laufend Problem und Aufgabe des Unternehmenssektors in einer Marktwirtschaft.

Die produzierten, wegen des Sparverhaltens der privaten Haushalte nicht abgesetzten Güter werden als Lagerinvestition verbucht. Das stellt eine Steigerung des Sachvermögens der Unternehmen dar. Parallel dazu findet eine Verschuldung (bzw. Verringerung der möglichen Gewinne) der Unternehmen in Höhe der Differenz zwischen erzielten Umsatzeinnahmen und gezahlten Einkommen (sowie sonstigen Produktionskosten) statt. Verschuldung und Lageraufbau zusammengenommen hat sich das Reinvermögen der Unternehmen nicht verändert. Der zusätzlichen Geldersparnis der privaten Haushalte entspricht die zusätzliche Verschuldung der Unternehmen – der Saldo von Geldersparnissen und Schulden über die Sektoren hinweg ist wie immer null.

Aber die Verschuldung des Unternehmenssektors erfolgt in diesem Fall nicht freiwillig wie bei einem aktiv betriebenen Sachinvestitionsprojekt. Sie wird vielmehr als Misserfolg am Markt interpretiert, der dazu anregt, die Produktion in der nächsten Runde zu reduzieren. Wer anhand seiner Lagerbildung den Eindruck gewinnt, zu viel produziert zu haben, tendiert normalerweise nicht zu vermehrter, sondern zu verringerter Sachinvestitionstätigkeit in der Folgeperiode, und das heißt, zu geringerer Verschuldung. Wenn es sehr schlecht läuft, versuchen die Unternehmen sogar, wie die privaten Haushalte in die Zone positiver Geldersparnisbildung zu gelangen. (Das ist in Deutschland seit 20 Jahren der Fall und stellt das Spiegelbild der unzureichenden Investitionstätigkeit dar.)

Die realistische Vorstellung: I vor S

Nehmen wir an, die privaten Haushalte senken ihre Sparneigung so deutlich, dass der private Konsum spürbar zulegt. Dann steigt die Kapazitätsauslastung in der Konsumgüterindustrie und die gesamtwirtschaftlichen Perspektiven sind so positiv, dass der Unternehmenssektor bereit ist, mehr Sachinvestitionen vorzunehmen. Daraufhin wächst die Nachfrage nach Investitionsgütern und die Auslastung der Investitionsgüterindustrie steigt. Die Finanzierung der Sachinvestitionen kann sowohl durch gestiegene Gewinne als auch durch zusätzlich von den Banken geschaffenes Geld in Form von Krediten erfolgen.

Gesamtwirtschaftlich wird also durch die Verringerung der Geldersparnisse der privaten Haushalte ein Nachfrageprozess angeregt, der die Unternehmen ermutigt sich zu verschulden, um Sachinvestitionen zu finanzieren, die dann das Sachvermögen steigern. Die Reihenfolge in diesem Vorgang ist exakt das Gegenteil dessen, was die neoklassische Theorie behauptet: I vor S.

Je nachdem, ob für diesen Prozess (auch) zusätzliches Geld geschöpft wurde und ob in seinem Verlauf der Unternehmenssektor alle Schulden zur Finanzierung der Sachinvestitionen zurückzahlt oder nicht, ändert sich das Geldvermögen und seine Verteilung auf die Sektoren. Zahlen die Unternehmen alles zurück, gibt es entsprechend keine Forderungen mehr gegen sie. Dann ist das Reinvermögen der Eigentümer der Unternehmen in Höhe der Sachinvestition gestiegen (abzüglich Wertverlust durch Verschleiß im Produktionsprozess). Um an das Bild des Bierbrauens von oben anzuknüpfen: Dem Prozess beigefügte Zusatzstoffe sind dann wieder herausgefiltert.

So paradox und der einzelwirtschaftlichen Vorstellung entgegengesetzt es auch klingen mag: Die Sachvermögensbildung wird in einer monetären, arbeitsteiligen Marktwirtschaft umso leichter, je geringer die Sparneigung der privaten Wirtschaftssubjekte ist, und umso schwieriger, je höher die Sparneigung ist.

Restriktive Fiskal- und Geldpolitik in konjunkturell schwierigen Zeiten

Erhöht der Staat zusätzlich zum traditionellen Sparwillen der privaten Haushalte den für eine Marktwirtschaft typischen Nachfragemangel noch, indem er ebenfalls zu sparen versucht (etwa, um die grundgesetzlichen Vorschriften der Schuldenbremse einzuhalten), bedarf es eines sehr dynamischen Unternehmenssektors mit vielen mutigen Sachinvestoren, um eine permanente Wirtschaftsschwäche abzuwenden. Denn die Verschuldungsbereitschaft des Unternehmenssektors muss die von Staat und privaten Haushalten gerissene Nachfragelücke in Form von Investitionsgüternachfrage mindestens schließen und so die Geldsparwünsche dieser beiden Sektoren unterfüttern. Interpretiert der Unternehmenssektor den Sparwillen der beiden anderen inländischen Sektoren jedoch als Indikator für seine Absatzperspektiven, dürfte er die erforderliche Investitionsdynamik kaum zustande bringen.

Das gilt erst recht, wenn eine restriktive Geldpolitik durch steigende und hohe Leitzinsen die Finanzierungskosten der Sachinvestitionen in die Höhe treibt wie derzeit. Die Geldpolitik verweist zwar zur Begründung auf hohe Preissteigerungsraten, die aber weitgehend auf importierte Güter wie Energie und Rohstoffe zurückzuführen sind. Mit Zinsanhebungen verschlechtert sie die Lage der Unternehmen und somit auch der Arbeitnehmer, ohne die ursprünglichen Gründe der Preissteigerungen beheben zu können. Ja, sie erschwert sogar die Möglichkeiten der Wirtschaft, sich durch Innovationen und entsprechende Sachinvestitionen von Importen und somit Importpreissteigerungen unabhängiger zu machen. Ist das wirtschaftliche Umfeld ohnehin von geopolitischen Spannungen und weltwirtschaftlichen Risiken geprägt, trägt die monetäre Restriktion zu weiterer Verunsicherung der Sachinvestoren und zur Destabilisierung der Gesamtwirtschaft bei.

Dann bleibt als Rettungsanker nur die Verschuldungs“bereitschaft“ des Auslands, sprich: dessen Überschussnachfrage, um das Land vor einer Dauerrezession zu bewahren. Die Anführungsstriche beim Wort „Bereitschaft“ sollen andeuten, dass das Ausland die Schuldnerrolle seinerseits nicht freiwillig übernimmt, sondern gezwungenermaßen, wenn es im Wettbewerb auf den internationalen Märkten unterliegt. Dass diese Art der Verschuldung zwischen Staaten nicht beliebig lang gut geht, liegt auf der Hand.

Fazit

Sachvermögensbildung funktioniert in einer stark arbeitsteiligen, hochtechnisierten Welt praktisch nur mit zumindest zeitweiser Verschuldung, die freiwillig eingegangen, also nicht durch unbeabsichtigte Verluste erzwungen wird. Die traditionellen Sparwünsche der privaten Haushalte erschweren diesen Prozess generell, weil sie zu unfreiwilliger Verschuldung der Unternehmen führen. In Zeiten konjunktureller Schwäche wird die unternehmerische Verschuldungsbereitschaft durch restriktive Fiskal- und Geldpolitik zusätzlich gefährdet. Durch verdüsterte Absatzaussichten sind Investitionsschwäche und Rezession vorprogrammiert.

Eine getrennte Betrachtung realwirtschaftlicher Sachinvestitionen auf der einen Seite und monetärer Geldersparnis sowie Verschuldung auf der anderen geht am Ziel vorbei, den Prozess der wirtschaftlichen Entwicklung eines Landes zu verstehen und die Bedingungen herauszuarbeiten, unter denen er eine positive Dynamik bekommt. Die Bierbrauer hüten ihr Produktionsgeheimnis. Viele Volkswirte wissen gar nichts vom Produktionsgeheimnis der Marktwirtschaft.

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5 Gedanken zu „Was bedeutet Sparen?“

  1. Versteh ich das hier richtig?
    Der Monetarismus bezeichnet Geld als eine Art Schleier über der Realwirtschaft, die aber davon nicht beeinflusst wird?
    Wie kommt dann diese Vorstellung des Monetarismus zustande, die Geldmenge müsse auf die reale Gütermenge in der Volkswirtschaft abgestimmt sein, da ansonsten Inflation entstehe? Wenn Geld nicht die Wirtschaft beeinflusst, bedeutet das für mich ja, ich kann im monetaristischen Glauben so reich sein wie ich möchte und die Geldmenge ins unermessliche steigern, ohne das Inflation entsteht. Wie passt das aber mit den sonstigen Ansichten zusammen?

    Das sehe ich als Widerspruch.

    1. Der Monetarismus unterscheidet zwischen der kurzen und der langen Frist. Wenn die „Geldmenge“ (was immer das sein mag) im Vergleich zur Gütemenge zu groß ist, kommt es lt. Monetarismus zu unerwünschten Preissteigerungen wegen starker nominaler Nachfrage. Langfristig saugen die Preissteigerungen aber die „überflüssige Geldmenge“ auf, so dass auf Dauer alles wieder beim Alten ist – sozusagen nur mit ein paar Nullen mehr auf den Preisschildern und den Banknoten. Der Anpassungsprozess, der zu diesem Ergebnis führt, birgt allerdings Risiken und Ungerechtigkeiten (siehe Hyperinflation 1923), weshalb die Zentralbank ein „Zuviel“ an Geld aus Sicht der Monetaristen besser von vornherein unterbindet. Das mündet dann in der so populären wie falschen Idee, am besten seien im Durchschnitt konstante Preise. Damit kann der Monetarismus gut leben, weil er ja keine Erklärung für Investitionen durch Gewinne vorsieht oder zulässt. Geld ist in dieser Denkrichtung langfristig neutral in Hinblick auf die Produktivitätsentwicklung, und letztere ist langfristig exogen gegeben (Konzept des „natürlichen“ Zinses, den die Geldpolitik lediglich konjunkturgerecht „umspielen“ könne).

  2. Grob runtergebrochen ist doch dann aber dynamische Marktwirtschaft ein Zusammenspiel aus Staat und Unternehmen. Die Sparneigung der privaten Haushalte (gehen wir mal von einer ominösen Mittelschicht aus, nicht von Millionären oder Unternehmensbesitzern) wage ich nicht zu kritisieren – immerhin haben wir nur eine Einkommensquelle und der Zugang zu Krediten ist erschwert bzw. sollte nicht für die Deckung des laufenden Konsums verwendet werden.
    Ist die Konsumlaune der privaten gut bzw. sind ihre Einkommen hoch genug um zu sparen und zu konsumieren, besteht für den Staat keine Notwendigkeit Schulden zu machen. Da natürlich die Sparneigung in Krisen besonders hoch ist, muss der Staat sich doch dort erst recht verschulden oder nicht?

    Ich kann nicht nachvollziehen, wieso besonders die Menschen, die den ganzen Tag öffentlich lobpreisen, wie toll sie Marktwirtschaftliche Prozesse finden, dann so etwas nicht verstehen. Es sollte doch in der Urliberalen Einstellung liegen, als Regierung (FDP z.B.) die Profite und die Existenz der Unternehmen zu sichern.
    Die USA scheint das die letzten 40 Jahre immer wieder getan zu haben und hat mit massiven Geldern die WIrtschaft gerettet.

  3. Guten Morgen Frau Spiecker,

    Eine Verständnisfrage: Was ist in dem Satz:

    „Was also an zusätzlichem Kapitalangebot durch die sparenden Haushalte auf den Kapitalmarkt wandert, fehlt im gleichen Zuge an Kapitalangebot durch die Unternehmen.“

    mit dem Kapital“angebot durch“ die Unternehmen gemeint.

    Vielen Dank für eine Erläuterung und besonders für ihre Bemühungen Licht ins Dunkel zu bringen!!

    1. Der private Sektor, der aus beiden Gruppen, den privaten Haushalten und den Unternehmen, besteht, kann als Kapitalanbieter am Kapitalmarkt auftreten, also auch die Unternehmen. Das können sie, wenn sie beim Verkauf ihrer Güter Gewinne machen, die über Unternehmerlohn und Finanzierungskosten hinausgehen.

      Das gedankliche Problem liegt in der Brutto-Netto-Betrachtung, was das Verhalten der Unternehmen am Kapitalmarkt angeht. Sie sind dort nicht automatisch und ausschließlich Nachfrager nach Kapital, sondern potenziell auch Anbieter von Kapital. Einen Teil seiner Investitionen kann der Unternehmenssektor aus Gewinnen selbst finanzieren, also selbst einen Teil seiner Kapitalnachfrage decken. Und er tut das auch. Das fällt bei der Saldierung in der sektoralen Nettobetrachtung – hier Sektor der privaten Haushalte, dort Unternehmenssektor – nicht mehr auf, muss aber bei der Argumentation, was Sparen der privaten Haushalte bewirkt, berücksichtigt werden. Es macht übrigens in der sektoralen Saldenbetrachtung keinen Unterschied, ob sich die Unternehmen untereinander Geld leihen oder ein Unternehmen seine eigenen Gewinne zur Finanzierung seiner eigenen Investitionen einsetzt.

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