Der Atlas der Weltwirtschaft 2022/2023

Am kommenden Montag erscheint im Westend-Verlag der neue Atlas der Weltwirtschaft. Wir haben zusammen mit Constantin Heidegger in den letzten sechs Monaten fast kontinuierlich an dieser Veröffentlichung gearbeitet. Herausgekommen ist, möchten wir ganz unbescheiden urteilen, ein einmaliges Kompendium von Fakten eingebettet in eine Theorie, die alle wichtigen dynamischen Elemente des Wirtschaftssystems erfasst und ihnen mit einem konsistenten makroökonomischen Gerüst den nötigen Halt gibt.

Der Atlas 2022/2023 erfasst die Grundlinien und die Bruchlinien der Weltwirtschaft in den vergangenen 20 Jahren und zum Teil noch weit darüber hinaus. Insbesondere die Transformation der Staaten, die nach dem Fall des Eisernen Vorhangs von der Planwirtschaft zur Marktwirtschaft wechselten, stellt er in den Fokus. Festzustellen ist, dass die Transformation weit schwieriger war als erwartet. Doch nicht nur in Mittel- und Osteuropa, auch weltweit muss konstatiert werden, dass Aufholen in Sachen Lebensstandard nicht so funktioniert, wie das die herrschende Lehre in der Ökonomik behauptet.

Das einfache Modell des Aufholens auf der Basis der sogenannten komparativen Vorteile, an das unter westlichem Einfluss die meisten Transformations- und Entwicklungsländer lange Zeit geglaubt haben, sagt Abläufe vorher, die in der Realität nicht stattfinden. Das Modell ist eine Schimäre. Die Welt der Wirtschaft wird von absoluten Vorteilen regiert. Der naive Glaube, auch bei absoluten Wettbewerbsnachteilen für die sich entwickelnden Länder würden unter bestimmten Bedingungen einige Nischen von den westlichen Unternehmen freigemacht werden, gehört auf den Müllhaufen der endgültig gescheiterten Theorien.

Was die Transformationsländer wie die Entwicklungsländer wirklich brauchen, sind gute makroökonomische Bedingungen im Innern wie nach außen. Dabei geht es vor allem um die monetären Bedingungen, also Zinsen und Wechselkurse. Der Atlas zeigt anschaulich und an vielen Beispielen, dass außerhalb Asiens genau hier die zentralen Schwachpunkte liegen und nicht bei institutionellen Fragen wie der Öffnung der Märkte, dem Abbau der Korruption oder dem Umbau der Bürokratie. Weil auch in den westlichen Ländern die Bedeutung dieser Zusammenhänge grundlegend missverstanden wird, glaubt man, aufholenden Ländern mit der Bereitschaft zur gegenseitigen Öffnung der Märkte ein attraktives Angebot zu machen.

Die aufholenden Länder brauchen aber nicht nur mindestens gleich gute makroökonomische Bedingungen, sondern sie brauchen strukturelle Vorteile, wenn es ihnen gelingen soll, eine Industrie aufzubauen und sich in nachhaltiger Weise dem Niveau der entwickelten Länder anzunähern. Insbesondere ihre Industrie braucht Protektion, was nichts anderes heißt, als dass die Öffnung der Märkte, wie etwa beim europäischen Binnenmarkt, mit der Möglichkeit für die ärmeren Länder verbunden sein muss, ihre Produktivkräfte für lange Übergangsphasen gesondert und selektiv mit Handelsbarrieren und Zöllen vor dem Verlust von Marktanteilen gegenüber den entwickelten Ländern zu schützen.

Der Atlas widmet ein Kapitel dem Kampf gegen den Klimawandel und legt dar, dass auch hier nur ein besseres Verständnis der systemischen wirtschaftlichen Zusammenhänge zu einer erfolgversprechenden Strategie führen kann. Produzenten und Konsumenten fossiler Energieträger müssen in das gleiche Boot, wenn man wirklich auf lange Frist erfolgreich sein will. Die Industrieländer werden auch beim Thema Klimaschutz von ihrer verfehlten Handelspolitik eingeholt, die seit fünf Jahrzehnten ein wirkliches Aufholen der ärmeren Staaten in Sachen Wohlstand verhindert hat. Zerstörtes Vertrauen in den Willen und die Fähigkeit des Westens, Entwicklungs- und Schwellenländer ökonomisch auf Augenhöhe gelangen und damit zu echten Konkurrenten für ihn werden zu lassen, steht tatsächlich erfolgreichen internationalen Vereinbarungen zum Klimaschutz im Wege. Insgesamt zeigt der Atlas, dass man – ausgestattet mit einer realistischen ökonomischen Theorie – auch ohne die genaue Kenntnis aller Details der betrachteten Länder eine Diagnose der weltwirtschaftlichen Fehlentwicklungen erstellen kann, die neue Lösungswege verspricht. Wer sich von der reinen Markt-Orthodoxie löst und offen ist für eine undogmatische Betrachtung des dynamischen Systems Wirtschaft, findet hier die Belege, die man braucht, um zukünftig auf globaler Ebene Wirtschaftspolitik zu betreiben, die allen Menschen eine faire Chance gibt.

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Ein Gedanke zu „Der Atlas der Weltwirtschaft 2022/2023“

  1. Sehr geehrte Frau Spieker und Kollegen,
    als Volkswirt alter keynesianischer Schule begrüße ich die Fortschreibung Ihres „Atlas der Weltwirtschaft 2022/23. Er unterzieht die neoliberalen Paradigma, die seit 40 Jahren den wirtschaftswissenschaftlichen Diskurs auch auf dem Gebiet der Aussenhandelstheorie- und politik beherrschen, einer faktenbasierten Ideologiekritik und eröffnet neue Perspektiven für eine kooperative und nachhaltige Weltwirtschaft. Bleibt zu hoffen, dass dies von den politischen Entscheidungsträgern wahrgenommen und bei der Auswahl der wirtschaftswissenschaftlichen Politikberater künftig berücksichtigt wird. Dazu wünsche ich Ihnen viel Erfolg.

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