Die Klimakonferenz in Glasgow ist zu Ende gegangen, ohne den großen Wurf in Sachen Klimaschutz gebracht zu haben. Die Politiker, die zwei Wochen lang verhandelt haben, glauben, einen weiteren Schritt in die richtige Richtung getan zu haben. Die Klimaaktivisten hingegen sind tief enttäuscht, weil sie endlich konkrete Maßnahmen statt diplomatischer Erklärungen erwartet hatten. Tatsächlich sind die Fortschritte gegenüber der Erklärung von Paris vor sechs Jahren überschaubar. So wurden beispielsweise keine klaren Verpflichtungen eingegangen, die Kohlenutzung in einem festgelegten Zeitplan zu verringern oder gar auf null zurückzuführen. Das 1,5-Grad-Ziel ist nun noch weniger erreichbar.
Hinter all den bisherigen Klima-Konferenzen steht eine zu einfache Vorstellung von der Funktionsweise der globalisierten Wirtschaft und unserer Gesellschaften. Es funktioniert nicht, souveräne Regierungen in einem internationalen Abkommen aufzufordern, ein gemeinsam beschlossenes Oberziel wie die 1,5 Grad dadurch erreichbar zu machen, dass sie irgendwelche Maßnahmen festlegen und umzusetzen versuchen. Denn die Addition eines Sammelsuriums nationaler Maßnahmen führt am Ende nicht zu einem befriedigenden Gesamtergebnis, weil unberücksichtigt bleibt, dass alle Länder über ein riesiges Netz von Märkten für fossile Energieträger eng miteinander verbunden sind.
Politik und Märkte kann man nicht trennen
Was die eine Regierung tut, bleibt nicht ohne Auswirkungen auf den Rest der Welt. Drängt eine Regierung ihre Bürger dazu, sehr schnell auf fossile Brennstoffe zu verzichten, werden, wenn parallel dazu sonst nichts geschieht, in anderen Ländern mehr fossile Energieträger eingesetzt, einfach weil diese durch den Ausstieg des einen Landes billiger geworden sind.
Billige und relativ leicht verfügbare Energieträger zu ersetzen durch saubere, die auf neuem Knowhow beruhen und vergleichsweise großen Investitionsaufwand erfordern, ist ein politischer und wirtschaftlicher Kraftakt ohnegleichen. Das mag in tendenziell kleinen und reichen Staaten mit hohem sozialem Zusammenhalt gelingen, für die große Mehrheit der Entwicklungs- und Schwellenländer ist es ohne massive Hilfe von außen nahezu unmöglich. Deren Mitmachen ist aber essentiell, wenn es auch nur den Hauch einer Chance geben soll, die Erderwärmung auf ein beherrschbares Maß zu begrenzen. Aber auch für ein so wichtiges Land wie die USA bedeutet die Umstellung auf nicht-fossile Energie, einen politischen Weg zu gehen, der hohe Risiken für die Demokratie in sich birgt. Schließlich hatte das Land schon einmal einen Präsidenten, der den Klimawandel bestritten hat.
Massive Umverteilung innerhalb demokratischer Gesellschaften ebenso erforderlich …
Wenn die Nutzung der neuen sauberen Energie für den einzelnen teurer wird, lassen sich solche Maßnahmen in der Breite und unter demokratischen Bedingungen nicht durchsetzen, solange dem ärmeren Teil der belasteten Menschen kein finanzieller Ausgleich geboten wird. Das bedeutet in der Regel Umverteilung zugunsten der unteren Einkommensgruppen auf Kosten der oberen. Hört jedoch die Mehrheit der Menschen auf einflussreiche Lobbygruppen oder ist gar von deren Mantra selbst überzeugt, dass eine große Spreizung der Einkommen und Vermögen Ergebnis ökonomischer Effizienz und Voraussetzung für eine positive dynamische Entwicklung der Wirtschaft sei, ist die notwendige Umverteilung bereits auf nationaler Ebene politisch nicht erreichbar, weil es keine demokratischen Mehrheiten dafür gibt.
… wie international, …
Das gilt erst recht im internationalen Zusammenhang, wo eine starke Umverteilung von den reichen zu den armen Ländern dringend erforderlich ist, in Glasgow aber keineswegs in ausreichendem Maße verbindlich vereinbart wurde. Die Anfänge einer deutschen Energiewende liegen über zwanzig Jahre zurück, ohne dass Deutschland seine CO2-Emissionen insgesamt seither deutlich reduziert hätte. Wie kann man da erwarten, dass Entwicklungsländer, bei denen die Aufrechterhaltung einer angemessenen Energieversorgung zur Sicherung eines minimalen Lebensstandards ohnehin ein großes Problem ist, das wesentlich schneller bewerkstelligen können sollen?
Kanzlerkandidat Olaf Scholz irrt gewaltig (in dem Video z.B. Minute 9:18), wenn er Deutschlands internationalen Beitrag zum Klimaschutz vor allem in der (von Scholz mutig unterstellten) technologischen Vorreiterrolle sieht. Es genügt eben keineswegs, der Welt vorzuführen, dass und wie hierzulande klimaneutral produziert und der eigene Lebensstandard zugleich aufrechterhalten werden kann, selbst wenn es, was sehr unwahrscheinlich ist, in Kürze gelänge. Das ist nämlich sicher keine hinreichende Bedingung für weltweit erfolgreichen Klimaschutz. Denn auch wenn technologische Lösungen zum Schutz des Klimas fix und fertig auf dem Tisch lägen, wäre weiterhin ungeklärt, wie ärmere Länder diese famosen technologischen Lösungen finanzieren können sollen. Zumal Deutschland seit Jahrzehnten nicht bereit ist, seine Überschussposition im internationalen Handel aufzugeben. Wie sollen hoch verschuldete Länder den Import neuer Technologien – und sei es nur das Knowhow dazu – finanzieren?
Scholz wörtlich: „Diese Aufgabe ist die, die wir wahrnehmen müssen: nicht nur zu zeigen, dass es geht, sondern indem wir es zeigen, auch Alternativen anzubieten, die dazu führen, dass die vielen Kohlekraftwerke, die weltweit noch geplant werden, nicht gebaut werden, weil man sagt: Wir wissen was Besseres und das kommt aus Deutschland.“ (ebenda, Minute 9:45)
… aber leider bislang unrealistisch
Ganz ungeniert (um nicht zu sagen überheblich) wird hier die Idee vertreten, den Rest der Welt mit deutscher Klimaschutz-Technologie zu beglücken. Das hätte aus Scholz‘ Sicht (und mutmaßlich nicht nur aus seiner) den Vorteil, dass Deutschland bzw. seine Oberschicht nichts vom eigenen Wohlstand abgeben müsste, aber gleichzeitig doch als strahlender Klimaschutzheld gelten könnte. Die Finanzierungsfrage lässt Scholz bei dieser geradezu populistischen Vereinfachung des Problems unter den Tisch fallen. Er müsste den Menschen hierzulande reinen Wein einschenken und erklären, dass die reichen Nationen nicht nur erst einmal die technologischen Lösungen für Klimaneutralität finden müssen, sondern diese, sobald sie gefunden sind, auch mehr oder weniger verschenken müssten an die armen Länder, damit die sich klimaneutral verhalten und trotzdem positiv entwickeln können – vom kolonialen Beigeschmack dieser Vorgehensweise einmal ganz abgesehen.
Und das bedeutet nichts anderes als ein gewaltiges Umverteilungsprogramm von den reichen zu den armen Ländern – und zwar im ureigensten Interesse der Bewohner der reichen Länder. Dass dieses Problem in einer aktuellen Debatte um Klimaschutz weder vom Kanzlerkandidaten gestreift noch von den ihn attackierenden Klimaaktivisten als entlarvender Knackpunkt adressiert wird, zeigt, wie vollkommen unrealistisch es ist, eine solche Umverteilung auch nur ansatzweise in Angriff zu nehmen: Die einen wollen davon nichts hören, die anderen befassen sich nicht hinreichend mit den ökonomischen Zusammenhängen.
Genau aus diesem Grund wird der Umbau einer kohlegestützten Energieversorgung in riesigen Ländern wie China und Indien lang dauern, auch wenn man sofort damit beginnt. Nur zu fordern, dass diese und noch ärmere Länder das Kohlezeitalter auf ihrem Entwicklungspfad weitgehend überspringen, nützt nichts.
Das müssen auch Klimaaktivisten zur Kenntnis nehmen, wenn sie ernst genommen werden wollen: Es gibt auf der gesamten Welt, insbesondere in Demokratien, keine Möglichkeit, von einem Tag auf den anderen Wirtschaft und Gesellschaft vollständig umzukrempeln, ohne das zu gefährden, was man erreichen will, nämlich einen politisch, sozial und gesellschaftlich akzeptierten Weg zum Umbau eines seit 200 Jahren auf fossile Energieträger gestützten Systems. In den Entwicklungsländern muss man nicht nur den Umbau erreichen, sondern Umbau zusammen mit einer weiteren erheblichen Verbesserung des Lebensstandards für die große Masse der Menschen.
Vorhaltungen, es werde nicht genug und nicht schnell genug gehandelt, sind verständlich. Aber dem Klima ist auch nicht geholfen, wenn die Menschen in Verteilungskämpfen aufeinander losgehen, die sich aus der Umstellung der ökonomischen Rahmenbedingungen ergeben. Die Klimaschäden, die sich noch ereignen werden, und deren Reparatur, soweit sie denn überhaupt möglich sein wird, sind der – wie immer ungleich verteilte – Tribut, den die ökonomische Unbildung, die Demokratie und der kurzfristige Frieden fordern.
Dass es um einen Wettlauf mit der Zeit geht, steht außer Frage. Denn natürlich gerät der Friede von der anderen Seite, nämlich der physikalischen, her in Gefahr, wenn Nahrungsmittelknappheit, Wassermangel und die Folgen extremer Wetterereignisse ihrerseits die Lebensbedingungen verschärfen. Physikalische Gesetze können wir nicht ändern, weil sie naturgegeben sind, ökonomische Rahmenbedingungen hingegen sehr wohl, weil sie menschengemacht sind. Aber ohne den Zusammenhalt der Menschen auf nationaler und internationaler Ebene kann die Krise nicht eingedämmt werden. Und um diesen Zusammenhalt zu erreichen, genügt der Hinweis auf die Physik nicht.
Der Weg ist entscheidend
Angesichts dessen sollte es einleuchtend sein, dass nationale Verpflichtungen, die mit irgendwelchen nationalen Instrumenten angestrebt werden, in einer eng vernetzten Welt der falsche Weg sind. Die Staatengemeinschaft muss sich vielmehr auf einen internationalen Weg einigen, der zu einer stetigen Verringerung des Verbrauchs fossiler Energieträger führt, ohne dass jede nationale Regierung fortwährend neu überlegen muss, auf welche Weise sie das erreichen kann, während diese Energieträger gleichzeitig in großer Menge und sehr günstig verfügbar sind.
Das geht nur über eine internationale Vereinbarung zwischen Produzenten und Konsumenten fossiler Energieträger, die darauf hinausläuft, das Angebot an fossilen Energieträgern systematisch und stetig zu verknappen, die Ausbeutung dieser Stoffe also mehr und mehr zurückzufahren. Auch das ist ohne Zweifel eine politische Herkulesaufgabe, aber eine, bei der am Ende ein Erfolg stehen kann.
Für beide Seiten, Nachfrager wie Anbieter, muss diese Vereinbarung attraktiv sein, damit alle großen Marktteilnehmer zustimmen und sich daran halten. Die internationale Gemeinschaft muss dazu einen Preispfad für Öl, Kohle und Gas garantieren, der für zweierlei sorgt: Er muss den Verbrauch fossiler Energie laufend so verteuern, dass dadurch Investitionen zuverlässig abgesichert werden, mit denen Konsumenten den Verbrauch fossiler Energie zu vermeiden versuchen (z.B. durch die Umrüstung ihrer Heiztechnik oder ihrer Transportmittel bis hin zur Entscheidung, wo man wohnt und arbeitet).
Zum anderen muss der Preispfad den Produzenten fossiler Energie Sicherheit bezüglich der über viele Jahre zu erwartenden Erträge geben, damit sie ihre Geschäftsmodelle rechtzeitig vor dem Versiegen dieser Erträge umbauen können. Stiegen die Preise der fossilen Energieträger über zwanzig bis dreißig Jahre stärker als die Verbraucherpreise insgesamt in den wichtigsten Konsumentenländern, wäre das für die Produzenten extrem attraktiv, weil sie wirklich planen könnten, ohne dem Auf und Ab der Rohstofferträge wie bisher ausgeliefert zu sein.
In den Konsumentenländern gäbe es auch ohne immer wieder neue staatliche Subventionen starke Anreize, in den Ausbau nicht-fossiler Energieträger zu investieren, weil klar ist, dass die sich zu einem relativ genau absehbaren Zeitpunkt von allein rentieren. Sobald der technologische Umstieg geschafft wäre, entfiele die Preisgarantie gegenüber den Anbietern fossiler Energie. Denn dann fragt niemand mehr diese Energieträger nach.
Preise staatlich kontrollieren – oder der Finanzmarktspekulation überlassen?
Wer sagt, eine solche Pfadvorgabe bei den Preisen für fossile Energieträger sei illusionär, weil niemand bereit sei, Angebot und Nachfrage auszuhebeln und „künstliche“ Preise für diese wichtigen Güter zu schaffen, sollte sich vor Augen halten, dass gerade die heutigen „Marktpreise“ in ganz entscheidenden Phasen nichts mit dem physischen Angebot und der physischen Nachfrage der Endverbraucher zu tun haben. Insbesondere der Ölpreis, aber auch die Preise vieler anderer wichtiger Rohstoffe, werden seit nahezu zwanzig Jahren in immer wieder vollkommen irrationaler Weise von den Finanzmärkten bestimmt.
Auch die jüngsten Gaspreisverwerfungen (vgl. Abbildung 1, hellgrüne Linie) sind nicht allein das Ergebnis von Angebotsverknappungen, sondern von Spekulation auf steigende Gaspreise: Hedgefonds und andere Spekulanten setzen, wie die Financial Times zeigt, an diesen Märkten darauf, dass Gaskraftwerke als von vielen Regierungen erkorene Übergangstechnologie auf lange Sicht stark gefragt sein werden und somit auch die Nachfrage nach Gas. Daher, so das Kalkül, wird der Gaspreis noch lange Zeit weiter steigen. Und damit ist Gas ein ideales Spekulationsobjekt.
Abbildung 1: Die Entwicklung der Preise für Rohstoffe insgesamt, Öl und Gas
Auch die große Rohstoffhausse vor und nach der Finanzkrise von 2008/2009 war eindeutig spekulationsgetrieben (dazu ein Stück zur Erklärung und ein Bericht von UNCTAD aus dem Jahr 2011 mit sehr klarer empirischer Evidenz). Dass sich jetzt eine neue Spekulationsblase gerade in dem Bereich bildet, der kurzfristig potentiell von der Klimaschutzpolitik profitiert, ist besonders absurd. Dadurch wird genau die Maßnahme diskreditiert, die am meisten gebraucht wird, nämlich eine kontinuierliche deutliche Preiserhöhung infolge einer Verknappung des physischen Angebots, aber nicht eine Preisexplosion infolge von Spekulation.
Wer jetzt pauschal, wie die EU-Kommission das tut, von Belastungen der Verbraucher durch Preiserhöhungen aufgrund von Rohstoff-Verknappung redet, blendet das Problem der Spekulation völlig aus. Die Kommission behauptet, „[a]usschlaggebend für die aktuellen Preisspitzen ist vor allem, dass infolge der globalen wirtschaftlichen Erholung die weltweite Nachfrage nach Energie und speziell nach Gas gestiegen ist.“ Das ist keineswegs einleuchtend. Wenn das so eins zu eins stimmte, hätte die einbrechende Konjunktur im vergangenen Jahr ja auch für einen viel stärkeren Verfall der Gaspreise sorgen müssen.
Es muss für die Kommission und die Regierungen zunächst darum gehen, Spekulation jeder Art in die Schranken zu weisen, um überhaupt einen aussagefähigen Marktpreis zu haben. Wäre ein Preisanstieg klar auf Verknappungen des Angebotes von Gas zurückzuführen, wäre es keineswegs sinnvoll, den Regierungen zu empfehlen dagegen vorzugehen. Sinnvoll könnte es dann nur sein, ärmere Haushalte insgesamt finanziell so zu entlasten, dass sie die höheren Gaspreise verkraften können, also Subjektförderung und keine Objektförderung zu betreiben (wie hier gezeigt).
Die aktuelle Entwicklung der Gaspreise zeigt aber klar, wie wichtig eine Übereinkunft der Staatengemeinschaft in Sachen Preise für fossile Brennstoffe ist. Denn nur wenn sich die Preise stabil und erwartbar entwickeln, kann es eine globale Übereinkunft und effektive politische Ausgleichsmaßnahmen auf nationaler Ebene für die am härtesten Getroffenen geben. Solange die für die globale Politik so zentralen Preise auf spekulativ verzerrten Märkten gebildet werden, fließen hohe Gewinne in die Taschen von Spekulanten. Dann kann man weder von den Konsumenten noch von den Produzenten Verständnis für eine Strategie steigender Preise erhoffen. Denn dann stellen die Preise kein ehrliches Signal der realen Verknappung fossiler Energieträger dar.